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Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet

Titel: Der Herr ist kein Hirte - Wie Religion die Welt vergiftet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Hitchens
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Märtyrertum, also die gezielte Selbstopferung. Die Witwenverbrennung oder der Witwen-»Selbstmord« bei den Hindus wurde von den Briten in Indien nicht weniger aus imperialen als aus christlichen Gründen abgeschafft. Etwas völlig anderes wiederum sind jene »Märtyrer«, die – in einem religiösen Hochgefühl – nicht nur sich selbst, sondern auch andere umbringen. Der Islam lehnt nach außen hin zwar jeglichen Selbstmord ab, kann sich aber nicht entscheiden, ob er den Akt eines so kühnen Shahid nun verurteilen oder empfehlen soll.
    Die Vorstellung, dass sich jemand stellvertretend opfert, die sogar C. S. Lewis zu schaffen machte, ist eine weitere Verfeinerung des uralten Aberglaubens. Wieder haben wir einen Vater, der seine Liebe dadurch unter Beweis stellt, dass er seinen Sohn der Folter und dem Tod preisgibt, doch dieses Mal ist der Vater nicht darauf aus, Eindruck auf Gott zu machen. Er ist Gott und will Eindruck auf die Menschen machen. Da stellt sich doch die Frage nach der Moral: Ich erfahre von einem Menschenopfer, das, ohne dass ich es gewollt hätte, vor zweitausend Jahren stattfand, und zwar unter so grausigen Umständen, dass ich, wäre ich dort gewesen und hätte ich auch nur den geringsten Einfluss gehabt, verpflichtet gewesen wäre, es zu verhindern. Als Folge dieses Mordes werden mir nun alle Sünden vergeben, und ich darf auf das ewige Leben hoffen.
    Sehen wir einmal von der Uneinigkeit zwischen den Erzählern dieser Geschichte ab und nehmen an, sie sei grundsätzlich wahr: Was ergibt sich daraus? Die Folgen sind keineswegs so beruhigend, wie es auf den ersten Blick aussieht. Um in den Genuss dieses wunderbaren Angebots zu kommen, muss ich zunächst einmal akzeptieren, dass ich verantwortlich bin für die Peitschenhiebe, den Hohn und die Kreuzigung, die ich weder mit beschlossen noch mit durchgeführt habe. Ich muss mich damit einverstanden erklären, dass ich jedes Mal, wenn ich diese Verantwortung von mir weise oder wenn ich in Wort oder Tat sündige, Jesu Qualen noch verschlimmere. Zudem bin ich gehalten zu glauben, dass die Todesqualen notwendig waren, um ein älteres Vergehen zu sühnen, mit dem ich nichts zu tun habe, nämlich die Sünde des Adam. Es nützt wenig, einzuwenden, dass Adam mit einer großen Unzufriedenheit und Neugier geschaffen wurde, die zu stillen ihm sodann untersagt wurde – das alles wurde lange vor Jesu Geburt entschieden. Meine eigene Schuld in dieser Angelegenheit ist somit »angeboren«, und ich kann ihr nicht entrinnen. Allerdings wird mir noch der freie Wille zugestanden, der es mir ermöglicht, das Angebot der stellvertretenden Erlösung abzulehnen. Sollte ich mich aber dafür entscheiden, habe ich ewige Qualen vor mir, die alles, was Jesus auf Golgatha erduldete, und auch die Strafen, die für Verstöße gegen die Zehn Gebote in Aussicht gestellt wurden, bei Weitem übertreffen.
    Die Vorstellung, dass Jesus sterben wollte und musste und zu diesem Zweck zum Passahfest nach Jerusalem kam, und dass alle, die an seiner Ermordung beteiligt waren, unwissentlich Gottes Willen und ältere Prophezeiungen erfüllten, macht es nicht gerade einfacher, die Geschichte zu akzeptieren. Besonders merkwürdig ist, dass Judas, der für die Verfolger die überflüssige Identifizierung des bekannten und seit Längerem gesuchten Predigers übernahm, solche Verachtung erfahren sollte – sieht man einmal von der gnostischen Version ab –, denn ohne Judas gäbe es keinen Karfreitag. In einem der vier Evangelien heißt es, die Juden, die Jesus verurteilten, hätten ausgerufen: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!« Dieses Problem beschäftigt nicht nur die Juden oder auch die Katholiken, denen die lange Geschichte des christlichen Antisemitismus Sorge bereitet. Nehmen wir einmal mit Maimonides an, der jüdische Sanhedrin hätte diese Forderung tatsächlich erhoben. Wie konnte sie für künftige Generationen verbindlich sein? Immerhin behauptete der Vatikan nicht etwa, manche Juden hätten Christus umgebracht. Nein, er behauptete, es seien die Juden gewesen, die seinen Tod gefordert hatten, und deshalb trage das gesamte jüdische Volk die kollektive Verantwortung dafür. Es erscheint grotesk, dass sich die Kirche erst vor Kurzem dazu durchringen konnte, den Vorwurf des »Gottesmordes« durch die Juden fallen zu lassen. Warum das so lange dauerte, ist leicht zu erklären. Wenn man erst einmal zugibt, dass die Abkömmlinge der Juden nichts damit zu tun haben, so lässt sich

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