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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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blickte aus dem schmalen Fenster, das den Blick auf das wellige Hügelland hinter der Stadt freigab. Die Natur zeigte sich noch im üppigen Sommergrün, obgleich der Herbst schon eine Weile im Land war. Die Bäume trugen grünes Laub, und auf den Wiesen blühten späte Sommerblumen. Sie zwang sich, ihre Schwester, die kein angenehmer Anblick war, anzusehen. »Natürlich tu ich etwas. Zunächst müssen wir abwarten, ob die Unbekannte tatsächlich Laren ist. Dann sehen wir weiter.«
    Laren trug ein safrangelbes Leinenkleid. Die zwei straff nach hinten gekämmten Zöpfe mit den eingeflochtenen gelben Bändern waren hinter den Ohren zu Schnecken hochgesteckt. Dazu trug sie zwei Armreife, die Rollo ihr am Morgen geschenkt hatte.
    Sie sah aus wie eine Prinzessin, dachte Merrik und spürte einen heftigen Stich in der Magengrube. Sie gehörte in diesen Palast. Ihr Gang und ihre Redeweise waren selbstbewußter geworden. Zum ersten Mal, seit er sie aus Kiew weggeholt hatte, war er sich seiner Sache nicht ganz sicher. Und dieser Gedanke behagte ihm nicht.
    »Hast du Angst?«
    »Ja«, gestand er ohne Zögern. Erst dann fragte er sich, ob sie seine Gedanken gelesen habe. »Ob ich Angst habe, deine Halbschwestern und ihre Ehegatten kennenzulernen?«
    Sie nickte und nahm seine Hand.
    »Du hast mir so viel von ihnen erzählt, daß die Angst vor dem Unbekannten längst gewichen ist. Nein, das nicht. Mich plagen andere Sorgen.« Er blickte auf ihre Hand, die zart in der seinen lag und setzte rasch hinzu, bevor sie eine Frage stellen konnte: »Du hast tief geschlafen, letzte Nacht.«
    Sie lächelte zu ihm auf. »Ja, seltsam. Die erste Nacht in meiner alten Schlafkammer, aus der die Männer mich und Taby vor zwei Jahren entführten.«
    Sie schwieg. Nur ihre zitternden Finger in seiner Handfläche ließen ihre Unruhe erkennen. Die beiden warteten in einem kleinen Raum hinter Rollos Thron, der vom großen Saal durch einen schweren, roten Vorhang abgetrennt war.
    Man hörte das erregte Stimmengewirr der versammelten Höflinge . . . Fragen, Neugier, Spekulationen.
    »Solchen Reichtum habe ich noch nie gesehen«, sagte Merrik. Wieder spürte er eine seltsame Unterlegenheit und ärgerte sich darüber.
    Sie nickte zerstreut.
    Er schüttelte lächelnd den Kopf. Er hatte sie als Sklavin kennengelernt, sie zur Frau genommen, und jetzt war sie in den Luxus ihrer Kindheit zurückversetzt. Doch das schien keinen Eindruck auf sie zu machen.
    Rollo begann mit tiefer, melodischer Stimme zu sprechen. Sogleich trat aufmerksame Stille in dem großen Saal ein.
    »Ich habe euch rufen lassen, um die Rückkehr meiner Nichte Laren, Tochter meines älteren Bruders Hallad von Eldjarn, zu verkünden.«
    Unruhiges Stimmengewirr hob an. Die roten Draperien wurden beiseite geschoben. Merrik und Laren traten vor und stellten sich neben Rollos Thron.
    Einzelne Stimme drangen durch: »Es ist Laren. Sieh dir nur das rote Haar an!«
    »Sie ist zur Frau geworden. Wie alt war sie, als sie verschwand?«
    »Nein. Die Frau sieht Laren nur ähnlich. Das ist sie nicht. Laren ist längst tot. Die Entführer haben sie damals getötet.«
    »Es war der Graf von Orkney, der Schurke, der sie und Taby damals entführt hat.«
    Rollo hob die Hand. »Heißt meine Nichte willkommen.«
    Laren blickte über die Versammelten, von denen sie die meisten ihr Leben lang kannte. »Ich bin wieder zu Hause«, richtete sie das Wort an die Höflinge. »Da ist ja Mimeric. Spielst du die Laute immer noch so schön wie ein Engel? Und du, Dorsun, bist du noch der beste Bogenschütze weit und breit? Vor ein paar Jahren hast du die Schwinge eines Vogels im Flug durchbohrt. Und Edell, du hast etwas zugelegt, alter Freund. Ich weiß noch, wie sehr du das Honigbrot geliebt hast, das dir die Köche heimlich zusteckten.«
    Merrik beobachtete, wie sich die Mienen der Höflinge von Ungewißheit in Staunen verwandelten. Wieder ging ein Raunen durch die Reihen. Dann riefen alle: »Laren! Laren!«
    Rollo ließ dem Begeisterungssturm eine Weile freien Lauf, bevor er wieder die Hand hob, und der Saal verstummte.
    »Mein Neffe Taby ist nicht zurückgekehrt«, begann er wieder. »Bei seiner Entführung war er noch sehr klein, und wir alle wissen, wie anfällig Kinder sind. Trauert nicht. Was geschehen ist, ist nicht zu ändern. Es hat bereits zuviel Leid gegeben.« Rollo wandte sich an Merrik und hieß ihn vortreten. »Hier ist Larens Gemahl, Merrik Haraldsson von Norwegen, Vetter von König Harald Schönhaar. Ich kenne

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