Der Herr vom Rabengipfel
dem Mund, und er grinste böse. >Das war nur Einbildung, ein kurzer Augenblick der Unsicherheit, weiter nichts. Jetzt reite ich dich, dann bringe ich dich auf mein Gehöft und mache dich zu meiner Nebenfrau und bringe dir Gehorsam bei.<
Er hatte die Worte noch nicht ausgesprochen, als er spürte, wie er vom Boden hochgehoben wurde. Welcher Mann besaß die Kraft, ihn wie ein Kind hochzuheben und in der Luft zu halten? Vergeblich versuchte er, sich zu befreien.
Er schwebte keine zehn Ellen über Selina, blickte fassungslos auf sie hinunter, und die Kehle war ihm wie zugeschnürt, so daß er kein Wort hervorbrachte. Statt zur Erde zu fallen, wurde er höher und höher getragen. Selina lag bereits tief unter ihm, lächelte zu ihm hoch und rief: >Flieg höher, Parma. Du willst doch hoch hinaus. Ja, bis in die Wolken. Flieg Parma. Dort oben wird sich dein Schicksal erfüllend
Parma schlug wild um sich, wurde jedoch unerbittlich weiter hinaufgetragen, so sehr er sich auch dagegen sträubte. Er schrie vor Angst und wehrte sich verzweifelt gegen die fremde Macht, die von ihm Besitz ergriffen hatte. Er vermochte nicht einmal, sich auf den Rücken zu drehen. Die unbekannte Kraft hielt ihn mit eisernem Griff fest. Er blickte zu Selina hinunter, die immer kleiner und kleiner wurde.
Er schrie und flehte, wußte aber auch, daß er des Todes war, wenn er jetzt fallen gelassen würde. Er würde zur Erde stürzen wie in Stein und auf dem felsigen Boden zerschellen. Plötzlich spürte er, wie die unsichtbare Hand ihn nicht mehr hochzog, sondern geradeaus in östliche Richtung dirigierte. Unter ihm erstreckte sich eine riesige Wasserfläche, und seine Angst wuchs ins Unermeßliche. Die Hexe hatte einen Fluch über ihn gesprochen, das alles geschah gar nicht wirklich, sondern war nur ein böser Alptraum, aus dem er bald erwachen würde, dachte er in seiner Verzweiflung. Und dann würde er sie töten. Aber er bewegte sich nur noch schneller und veränderte wieder die Richtung. Er schwebte hoch in den Wolken, weiße Nebelschwaden behinderten seine Sicht. Er fror erbärmlich, seine Haut verfärbte sich so blau, wie Grunliges Hände, nachdem er die Eisschollen zertrümmert hatte. Selinas Worte kamen ihm wieder in den Sinn. Er würde hier oben über der Erde erfrieren, nur weil das Weib ihn verflucht hatte.
Mit einem Mal begann er langsam zu sinken. Die Luft wurde wärmer, er konnte wieder klar denken, konnte die Erde deutlich unter sich erkennen, Felsen, Berge, Bäume und einen Bach, der sich durch eine grüne Wiese schlängelte. Er fiel nicht wie ein Stein nach unten. Nein, er glitt sanft und behutsam zur Erde. Er kam sich vor wie ein
Zauberer. Und schon fragte er sich, ob er nicht aus eigener Kraft in den Himmel gestiegen war. Ja, er hatte es aus eigener Kraft geschafft, sich in die Lüfte aufzuschwingen und zu fliegen.
Davon war er bald fest überzeugt, als er langsam zur Erde sank. Sein Blut floß wieder warm und rasch durch seine Adern. Wenn er mit den Armen ruderte, konnte er die Richtung verändern. Er lachte laut über diese wundersame Entdeckung. Nun gab es nichts mehr, das ihm nicht gelingen würde. Die Götter hatten ihm Allmacht verliehen. Wenn er mit den Beinen strampelte, glitt er rascher vorwärts, und hörte er damit auf, verlangsamte sich sein Flug. Lachend probierte er seine neuen Fähigkeiten aus. Doch bevor er erneut mit den Armen rudern konnte, plumpste er plötzlich wie ein Stein zur Erde, als habe ihn die Hand losgelassen. Unsanft landete er zu Füßen eines Riesen, eines in Bärenfell gekleideten Kriegers. Ein Berserker, der ein mächtiges Schwert in seiner rechten Hand hielt, die mit Leinenlappen umwickelt war.
Dieser Krieger war Grunlige der Däne. Seine Hände waren noch verbunden, doch er hielt sein Schwert mit leichter Hand. Er stand groß und mächtig über Parma, und war stolz wie vor dem Unglück, das ihn ereilt hatte. Und er sprach: >Du bist Parma, der es wagte, meine Gemahlin zu berühren. Weißt du, was ich mit dir mache?<
Parma starrte Grunlige mit offenem Mund an, schüttelte benommen den Kopf und konnte nicht glauben, daß es tatsächlich Grunlige war, der vor ihm stand. Parma faßte all seinen Mut zusammen und sagte hochmütig: >Du bist tot. Du bist fortgegangen, um zu sterben. Du bist tot. Das ist nur ein Geist, eine Stimme, ein Alptraum, ein Hirngespinst. Ich habe deinen Besitz zerstört, dein Vieh gestohlen, deine Schiffe geplündert. Wo warst du, als deine Gefolgsleute dich um Hilfe
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