Der Herr vom Rabengipfel
Krieger, und das steht einer Frau nicht an.«
Sie hob gleichgültig die Schultern. »Ich habe deine Rede nicht gehört. Und wenn du mich für hochmütig hältst, ist das deine Sache.«
Er wünschte, den Mund gehalten zu haben. »Tut dein Bein noch weh?«
»Nicht besonders. Die Salbe wirkt Wunder.«
»Sie ist bald aufgebraucht. Und wenn meine Mutter Sarla nicht gezeigt hat, wie man sie zubereitet, ist dieses Wissen für immer verloren.« Er blickte ins Leere. Sein Ärger gegen Laren war verflogen. Ihre Überheblichkeit und ihr Stolz hatten ihr immerhin das Leben gerettet. In dieser Hinsicht glich sie seiner Mutter, und noch mehr seiner Schwägerin Mirana, Roriks Gemahlin, die Frau, die Merrik anfangs ebenso haßte wie seine Eltern, weil er glaubte, das Blut eines Bösewichts fließe in ihren Adern. Doch sie stellte sich als ehrliche, starke und treue Frau heraus.
Seufzend sagte er: »Ich hasse die Plötzlichkeit des Todes. Seine Endgültigkeit. Wenn ein Mann im Kampf fällt, ist er darauf vorbereitet. Und er weiß, daß er nach seinem Tod nach Valhall und ins ewige Leben eingehen wird. Aber von einer heimtückischen Krankheit dahingerafft zu werden, der man hilflos ausgeliefert ist, macht mir Angst. Dieser Tod raubt einem Mann die Würde, die Ehre.«
Sie entgegnete mit fester Stimme: »Worin liegt der Unterschied, ob ein Mensch von einer Krankheit dahingerafft oder im Kampf von Feinden abgeschlachtet wird? Der Tod gehört zum Leben. Er sitzt uns allen im Nacken. Niemand kann ihm entrinnen. Auch du nicht.« »Du sprichst harte Worte und weißt nicht um die Verdienste, die ein Mann sich aneignet, wenn er sich dem Tod im Kampf stellt. Mein Vater konnte sich die Seuche nicht aussuchen.«
»Deine Mutter ebensowenig. Frauen lassen sich nicht im Kampf abschlachten. Heißt das etwa, daß Frauen ohne Ehre und ohne Würde sterben?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Aber Frauen . .. sind eben anders.«
»Ja«, sagte sie gedehnt. »Das sind sie.« Und kopfschüttelnd fügte sie hinzu: »Und Männer sind größer und stärker.«
»Du bist dem Tod entronnen.«
Sie lachte bitter. »Ohne dich hätte ich nicht lange überlebt. Thrasco hat mich fast zu Tode geprügelt. Hätte er mich als Mädchen entlarvt, hätte er mich verkauft oder umgebracht. Nachdem mir Taby genommen war, hatte das Leben keinen Sinn mehr für mich.«
»Hättest du dir das Leben genommen?«
Sie schwieg lange. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. »Ich weiß nicht«, antwortete sie schließlich. »Darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich hatte nur einen Gedanken: Ich mußte Taby finden. Und dann kamst du. Es tut mir sehr leid, daß deine Eltern gestorben sind, Merrik.«
Er lehnte den Kopf gegen die rauhe Rinde des Eichenstammes und schloß die Augen.
»Laß Taby bei mir«, sagte er schließlich mit geschlossenen Augen. »Ich bring ihn ins Haus zurück.«
»Wie du willst. Was wirst du jetzt tun, Merrik?«
»Ich will eine Insel haben wie mein Bruder Rorik.«
Sie lachte. Es war ein reines, helles Lachen ohne Spott. Er öffnete die Augen. »Was ist daran so lustig?«
»Woher willst du eine Insel bekommen?«
»Ich weiß nicht. Es war nur so ein Gedanke, eine Antwort auf deine dreiste Frage.«
Sie versteifte sich. Aber die Zurechtweisung hatte sie verdient. Sie wandte sich ab und entfernte sich. Er schloß die Augen wieder und zog Taby näher zu sich.
Merriks Rückkehr wurde mit einem Festmahl gefeiert. Doch es war kein ausgelassenes Fest wie die Jahre davor. Es gab Met und Bier zu trinken. Große Schüsseln und Platten mit gedünsteten Zwiebeln, Erbsen, gebratenem Wildschwein und geräuchertem Lachs wurden aufgetragen, dazu gab es würziges Roggenbrot, Käse und süße Äpfel. Sarla deckte ein feines Leinentuch über den großen Tisch, bei dessen Anblick Laren die Tränen in den Augen brannten. Vor jener grauenhaften Nacht war solcher Luxus eine Selbstverständlichkeit in ihrem Leben gewesen. Kostbare Stoffe, edle Truhen, helle, hohe Räume. Keine rußgeschwärzten, schlecht gelüfteten Holzhäuser mit niedrigen Decken. Sie erinnerte sich an das heitere Lachen ihrer Mutter. Sie hatte lange nicht mehr an ihre Mutter Nirea gedacht. Seltsam. Ein Name, der wie Musik in ihren Ohren klang. »Kann ich helfen?« fragte sie.
»Iß erst mal ordentlich, damit du zu Kräften kommst«, antwortete Sarla lächelnd.
»Gib der Sklavin Arbeit«, mischte sich Erik barsch ein. »Du bist jetzt Herrin auf Malverne. Es ist Zeit, daß du dich entsprechend
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