Der Herr vom Rabengipfel
wir dorthin? Wo ist deine Heimat? Gibt es Leute, die dich aufnehmen?«
Sie knetete verbissen den Teig. »Ich weiß nicht. Erst muß ich das Silber zusammenhaben. Dann denke ich weiter.«
»Du wirst heute abend wieder Silber bekommen. Gestern hat Erik nur sich selbst bestraft. Alle sind gespannt, wie es mit Grunlige dem Dänen weitergeht.«
»Das weiß ich auch erst, wenn mir die Worte aus dem Mund sprudeln.«
Er blickte sie verblüfft an. »Ist das wahr?«
»Ja, Grunlige ist ein listiger Mann, der manchmal Dinge tut, die ich nicht vorgesehen habe.«
Cleve schob nachdenklich einen Löffel Haferbrei in den Mund. »Ich sehe ihn lebendig vor mir, wenn du erzählst. Daß er nur eine Ausgeburt deiner Fantasie ist, enttäuscht mich.«
»Sag das nicht den anderen.«
»Nein«, grinste er.
»Meist ist er auch für mich ganz lebendig.«
Sie knetete weiter, und Cleve aß schweigend. Irgendwann hob sie den Kopf und sah seinen Blick auf Sarla gerichtet. In seinen Augen lag soviel Zärtlichkeit, daß Laren am liebsten sofort losgeheult hätte. »O nein«, stöhnte sie.
Er wandte sich ihr zu. »Ich bin kein Narr, Laren. Aber es ist merkwürdig, sie findet mein häßliches Gesicht nicht abstoßend. Sie ist so gütig und lieb und scheint mich zu mögen. Es ist eine Schande, daß sie mit diesem aufgeblasenen Kerl verheiratet ist. Und ich bin es nicht wert, ihre Tränen zu trocknen.«
Laren sah ihn an. Das Leid in seinen Augen erinnerte sie an die Freudlosigkeit des irdischen Daseins und daran, daß jede Freude bis zur Neige ausgekostet werden sollte.
Kapitel 11
Am späten Nachmittag gab es Tumult vor dem Haus, Männer und Frauen schrien durcheinander. Laren trat ins Freie und sah, daß Besucher auf Malverne angekommen waren.
»Die Thoragassons«, hörte sie Sarla neben ihr sagen. »Sie leben im Bergsontal, drei Tagesreisen im Norden.« Nach einer Pause setzte sie hinzu: »Bevor Merriks Vater starb, handelte er mit Olaf Thoragasson einen Ehevertrag zwischen seiner Tochter Letta und Merrik aus. Ich weiß nicht, ob Merrik sich daran gebunden fühlt.«
»Aha«, sagte Laren matt. Sarla sah sie verstohlen von der Seite an. Larens Blick war in die Ferne gerichtet, über die Föhrenwälder der hohen Berge des Fjordes. »Ich weiß, daß Merrik dich gestern nacht in seine Kammer nahm, und auch die Nacht davor. Alle wissen es, auch Erik.«
»Merrik machte daraus kein Geheimnis.«
»Erik war wütend. Er befahl mir, im großen Raum zu nächtigen und nahm Caylis und Megot in seine Schlafkammer.«
»Er hat dich nicht verdient, Sarla.«
Sarla hob die Schultern. »Er ist ein stolzer Mann, und jetzt hat er das Sagen auf Malverne. Er bekommt alles, was er sich in den Kopf setzt. Eigentlich bin ich froh, wenn er mich zufrieden ließ.« Nach einer kleinen Pause fügte sie mit leisem Erstaunen hinzu: »Ich spreche so frei mit dir, und weiß gar nicht wieso. Ich bin mit vielen Frauen befreundet, sie haben mich freundlich aufgenommen, als ich vor zwei Jahren an Eriks Seite hier ankam. Aber mit ihnen rede ich nur über praktische Dinge.«
»Ich werde dein Vertrauen nicht mißbrauchen.«
»Ja, das spüre ich. Vielleicht vertraust du dich eines Tages auch mir an. Ich weiß zwar nicht, ob ich dir helfen kann, aber ich werde es versuchen. Hat Merrik dir wehgetan?«
»Nein.«
»Du bist anders als ich. Du bist gewöhnt, allein zu sein und nur deinen kleinen Bruder als Vertrauten zu haben. Merrik ist ein Mann, dem du vertrauen kannst. Vielleicht schaffst du es, dich ihm zu öffnen.«
»Das würde zu nichts führen. Er will nichts von mir wissen, Sarla. Er will mich nur vor Erik beschützen. Er liebt Taby und fühlt sich ihm verpflichtet. Er sieht in mir keine Frau. Und mir ist es recht so. Er ist ein Wikinger, der nur seinen Vorteil sieht. Einer wie er ist nur seinem Clan zu Treue verpflichtet, nicht Außenseitern oder Sklaven. Das weiß ich nur zu gut.«
»Und Taby . . .«
»Er liebt das Kind. Aber wie lange wird das anhalten?«
»Ich kenne ihn nicht gut genug. Ich weiß nur, daß er ein guter Mensch ist und du ihn gern hast. Ist dir eigentlich bewußt, daß du Merrik kaum aus den Augen läßt, wenn du von Grunlige dem Dänen erzählst? Sag, was du willst, Laren. Ich habe meine eigene Meinung.«
»Deine Meinung trügt, Sarla.«
»Wir werden sehen. Ich muß die Gäste begrüßen.«
Die Thoragassons waren mit einem Dutzend Gefolgsleuten und vier Frauen angekommen. Gutaussehende, hochgewachsene Menschen, dachte Laren. Die Nordleute waren
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