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Der Herr vom Rabengipfel

Der Herr vom Rabengipfel

Titel: Der Herr vom Rabengipfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Grunlige gegeben.
    Sie kehrten Island den Rücken und ließen Grunlige hochleben. Erneut blies ihnen der Wind in den Rücken und trug sie rasch ostwärts. Doch plötzlich brach ein fürchterlicher Sturm los. Schneidende Kälte, die selbst den dicksten Pelz durchdrang, setzte ein. Und ebenso plötzlich, etwa eine Tagesfahrt westlich der Färöerinseln, schob sich ein riesiges Eisfeld aus dem Norden in ihre Fahrtroute. Es gab kein Vorwärtskommen mehr, die Männer saßen in der Falle.
    Sie beschworen Grunlige, umzukehren und möglichst schnell nach Island zurückzurudern. Von dem riesigen Eisfeld lösten sich bereits die Eisschollen und drohten, das Langboot zu zermalmen. Bald würden sie mitten auf dem Meer festsitzen und — von allen Göttern verlassen — jämmerlich erfrieren. Grunlige breitete die Arme aus und rief den Himmel an: >Allvater Odin, hier bin ich. Stell mich auf die Probe!«
    Laren legte eine kleine Pause ein, versicherte jedoch: »Keine Angst, ihr werdet die Geschichte von Grunlige dem Dänen heute abend zu Ende hören. Doch vorher brauche ich einen Schluck Bier, um meine Kehle anzufeuchten.«
    Erik lehnte sich murrend in seinem Stuhl zurück. Letta, die voller Neid sah, wie dieses fremde Mädchen die Aufmerksamkeit aller auf sich zog, rief schmollend: »Ich hab' genug von dem Geschnatter. Die Geschichte ist dumm. Merrik, du wärst nicht so töricht, dich ein zweites Mal ins Treibeis zu begeben wie dieser prahlerische Däne. Deglin soll die Geschichte fertig erzählen. Nur ein Mann hat die Gabe dazu.«
    In der peinlichen Stille warf Laren ihr einen verächtlichen Blick zu. Sie hätte der verwöhnten Göre mit den großen Brüsten gerne eine schallende Ohrfeige gegeben, schluckte ihre Wut aber hinunter. Sie dachte an die Silberstücke und drängte die Tränen zurück, die ihr in die Augen stiegen.
    Erik befahl gebieterisch: »Das Mädchen erzählt die Geschichte zu Ende, Letta Thoragasson. Sprich weiter, Laren.«
    Sie lächelte Erik dankbar an, der ihr Lächeln mit einem glühenden Blick erwiderte, und sie wußte, daß sie einen Fehler gemacht hatte.
    Rasch sprach sie weiter, den Blick auf Merrik gerichtet: »>Stell mich auf die Probe!< rief Grunlige in den Himmel. Und seine Männer beruhigte er: >Habt keine Angst, denn ich bin nicht mehr der Narr von einst! Ich war prahlerisch und überheblich und vergaß, daß ich ein Sterblicher bin. Vertraut mir, denn diesmal stellt Odin zuerst meinen Verstand auf die Probe und dann erst meine Kraft. Werft mir die dicksten Otterfelle zu!<«
    Ein Seufzer der Erleichterung ging durch die Reihen der Zuhörer, und Merrik nickte ihr beifällig zu.
    »Grunlige zertrümmerte die Eisschollen mit der Faust, bis tausend kleine Splitter im Meer schwammen, die nicht einmal einem Hering Schaden zugefügt hätten. Nach getaner Arbeit stieg er wieder ins Langboot und sagte: >Aus diesem Grund wollte ich möglichst viele Felle jagen, denn ich wußte, daß ich sie brauchen würde. Ich habe dreißig der dicksten Pelze im Kampf gegen das Eis zerschlissen. Hört gut zu, Männer, denn ich muß leise sprechen. Odin wußte nichts von meinem Plan, denn er zweifelte an meinem Verstand und wollte mich auf die Probe stellen.<
    Nun wandte er sich wieder dem Himmel zu. >Habe ich deine Gunst wieder erworben, Odin?<
    Ein greller Blitz zuckte vom Himmel und fuhr in die Mitte des Eisfelds im Osten. Das Eis zerbarst, die Brocken flogen hoch in die Luft, stürzten aufspritzend ins Meer und brachten das Langboot ins Schwanken. Die Männer fielen vor Angst und Ehrfurcht auf die Knie.
    Als sie nach Norwegen zurückgekehrt waren, eilte Grunlige in sein Langhaus und schloß seine Gemahlin in die Arme. >Ich bin nicht der Narr, für den du mich gehalten hast. Ich bin mit heiler Haut zurückgekehrt, und bin ein neuer Mensch, ein bescheidener Mensch gewordene Da brach großer Jubel aus. Doch plötzlich trat tödliche Stille ein; alle blickten zum großen Eingangstor. Dort stand Parma und lächelte böse. >Kommst du wieder mit geschwärzten Tierkrallen zurück, Grunlige?< rief er höhnisch in den Saal. »Komm her. Diesmal erdolche ich dich, schneide dir die Eingeweide heraus und werfe sie den Möwen vor.<
    Selina antwortete an Grunliges Stelle: >Höre, Parma. Grunlige gibt es nicht mehr. Dies ist sein Geist, der kam, um sich von uns zu verabschieden. Komm und überzeuge dich selbst, was dir mit deiner List und Tücke gelungen ist.<
    Parma stolzierte durch den großen Raum, bis er vor Grunlige stand. Er

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