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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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ganz genau«, sagte Angel.
    »Ein Mädchen gesucht?«
    »Ein Mädchen gefunden.«
    »Und mit ihr geschlafen?«
    »Ging nicht ...«, sagte Angel. »Sowie wir beide im Bett gelandet sind, krieg ich wieder dieses Fieber ...«
    »Und Clémentine will nichts mehr?«, sagte Jacquemort.
    »Nichts mehr«, sagte Angel. »Und die anderen hängen mir das Fieber an.«
    »Sie haben ein schlechtes Gewissen«, bemerkte Jacquemort.
    Angel belächelte diese Bosheit.
    »Das hat Ihnen wohl gar nicht gefallen, letzthin, als ich Ihnen das gesagt habe?«, sagte er.
    »Nun ja«, sagte Jacquemort, »sowas hört man nicht gern ..., besonders dann nicht, wenn man überhaupt kein Gewissen hat.«
    Angel antwortete nicht. Es ging ihm sichtlich nicht allzu gut. Er hatte sich seinen Hemdkragen aufgeknöpft und sog gierig die Mailuft ein.
    »Ich war eben bei Ihrer Frau«, sagte Jacquemort, der ihn ein wenig von sich selbst ablenken wollte. »Die Kleinen wachsen ja ungeheuerlich. Citroën kann schon aufrecht gehen.«
    »Das arme Wurm«, sagte Angel. »In seinem Alter ... da wird er krumme Beine kriegen.«
    »Aber nein«, sagte Jacquemort, »wenn er aufrecht gehen kann, so heißt das, dass ihn seine Beine sehr wohl tragen können.«
    »Lassen wir der Natur nur ihren Lauf ...«, murmelte Angel.
    »Ihre Frau will mich zum Hufschmied schicken«, sagte Jacquemort. »Macht es Ihnen denn gar nichts aus, dass sie die Kleinen so brutal erzieht?«
    »Ich darf nichts sagen«, sagte Angel. »Sie hat gelitten und nicht ich. Das gibt ihr gewisse Vorrechte.«
    »Ich wehre mich nur dagegen«, sagte Jacquemort, »dass etwas so Nutzloses wie das Leid irgendwem irgendwelche Rechte über wen auch immer geben soll.«
    »Behandelt sie sie wirklich schlecht?«, fragte Angel, ohne auf das soeben Geäußerte einzugehen.
    »Nein«, sagte Jacquemort, »mit sich selber geht sie wesentlich härter um. Aber das ist trotzdem kein Entschuldigungsgrund. All das ist einfach verlogen und doppelzüngig.«
    »Ich glaube, sie liebt sie aber doch«, sagte Angel.
    »Ah ... ja ...«, antwortete Jacquemort.
    Angel schwieg. Es ging ihm nicht gut, man sah es.
    »Sie müssten sich eine Ablenkung suchen«, sagte Jacquemort. »Bootfahren zum Beispiel.«
    »Ich hab aber kein Boot ...«, gab Angel zurück.
    »Dann bauen Sie sich ein Boot.«
    »Das ist eine Idee«, brummte der andere.
    Jacquemort sagte nichts und stand auf.
    »Ich geh jetzt zum Hufschmied«, sagte er. »Weil sie darauf besteht.«
    »Gehen Sie doch morgen hin«, schlug Angel vor, »und schenken Sie dem armen kleinen Kerl noch einen Tag.«
    Jacquemort schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß nicht«, sagte er, »wenn Sie dagegen sind, dann sagen Sie doch etwas!«
    »Ich befinde mich im Zustand der Unterlegenheit«, sagte Angel, »und außerdem glaube ich, dass sie recht hat; sie ist schließlich die Mutter.«
    Jacquemort zuckte die Achseln und ging dann hinaus. Die breite plattenbedeckte Treppe erbebte unter seinem eiligen Schritt. Er durchquerte die Halle und trat ins Freie. Der Frühling überlud die Erde mit tausend Wunderherrlichkeiten, die bald hier, bald da buntflammend aus dem Rasen platzten wie üppige Risse in einem Billardtisch.

4
    8. Mai
    Da der nächste Tag ein Mittwoch war, vermied es Jacquemort, seinen Weg ins Dorf über die Hauptstraße und den Platz zu nehmen, auf dem der Alteleutemarkt abgehalten wurde. Vor der Menschenansammlung bog er schräg in einen Pfad ein, der an der Rückseite der Häuser entlangführte, wo wilde, grüne, brennende und flachsfasrige Pflanzen wuchsen, von den Bauern ›böse Nesseln‹ genannt.
    Katzen lagen ausgestreckt auf Mauerrändern und Fensterbänken und ließen sich faul die Sonne auf den Pelz scheinen. Alles lag still und ausgestorben da. Trotz der Langeweile, die ihn ständig quälte, entspannte sich der Psychiater etwas und fühlte, dass er — zumindest was die zellulären Vorgänge betraf — noch einwandfrei funktionierte.
    Er wusste, dass rechts jenseits der Häuserreihe der rote Bach randvoll dahinglitt, und er wusste auch, dass noch etwas weiter weg der Bach eine Biegung nach links nehmen würde. So war er auch nicht besonders verwundert, dass der schmale Weg es ihm unter demselben Winkel nachtat, und schlagartig sah er sich in seiner Schlussfolgerung bestärkt, dass der dazwischenliegende Häuserblock eine ziemlich gleichbleibende Tiefe aufweisen müsse.
    Eine Gruppe von Leuten schien in einer Entfernung von ein paar Dutzend Metern in einem verwickelten Vorhaben begriffen zu sein.

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