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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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hineingehen, da legte ihm Jacquemort die Hand auf den Arm.
    »Sagen Sie ...«
    »Was?«, fragte der Hufschmied.
    »Könnten Sie im Haus am Steilhang vorbeischauen? Eines der Kinder kann schon laufen.«
    »Eilt es sehr?«, fragte der Mann.
    »Ja«, sagte Jacquemort.
    »Kann es nicht herkommen?«
    »Nein.«
    »Mal sehen«, sagte der Schmied.
    Er ging zurück in seine Schmiede und stieß dabei fast mit dem Lehrling zusammen, der sich mit einem alten Besen bewaffnet daranmachte, die verstreuten Haare zu einem unappetitlich aussehenden Haufen zusammenzukehren. Jacquemort rückte nur bis auf die Schwelle vor. Es war sehr dunkel, und man war geblendet durch das Feuer, dessen orangeroter Fleck die umherliegenden Gegenstände flackernde Schlagschatten werfen ließ. Neben dem Feuerfleck gewahrte Jacquemort den Amboss und daneben, auf einer eisernen Werkbank, sah er eine verschwommen menschenähnliche Gestalt liegen, der das durch die Tür hereinfallende Licht einen grauen, metallischen Schimmer verlieh.
    Doch schon kam der Schmied, nachdem er sein Notizbuch zu Rate gezogen hatte, wieder zurück und auf ihn zu. Er runzelte die Stirn, als er sah, dass sich Jacquemort weiter genähert hatte.
    »Bleiben Sie draußen«, sagte er, »das hier ist keine Mühle.«
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung«, murmelte Jacquemort peinlich berührt.
    »Morgen komme ich vorbei«, sagte der Schmied. »Morgen Vormittag um zehn. Und dass mir auch alles bereit ist. Ich habe meine Zeit nicht gestohlen.«
    »Selbstverständlich«, sagte Jacquemort. »Und vielen Dank.«
    Der Mann ging in seine Schmiede zurück. Der Lehrling war mit dem Zusammenkehren der Haarbüschel fertig und warf sie nun ins Feuer. Jacquemort, bei dem Gestank beinah in Ohnmacht sinkend, entfernte sich eilig.
    Auf dem Heimweg bemerkte er einen Laden mit Kurzwaren und Damenmoden. Hinter dem Schaufenster saß eine alte Dame, die deutlich in dem erhellten Raum zu sehen war. Sie war gerade dabei, letzte Hand an ein grünweißes, mit englischer Stickerei verziertes Kleid zu legen. Jacquemort blieb stehen, dachte nach und ging weiter. Kurz bevor er zu Hause angelangt war, erinnerte er sich, dass Clémentine einige Tage zuvor haargenau das gleiche getragen hatte; ein weißgrün gestreiftes Kleid, mit einem Kragen und Manschetten aus englischer Stickerei. Je nun, Clémentine ließ ihre Kleider doch nicht im Dorf arbeiten! Oder vielleicht doch?

6
    9. März
    Jacquemort stand auf. Die ganze Nacht hatte er sich damit um die Ohren geschlagen, das Dienstmädchen zum Reden zu bringen, aber ohne Erfolg. Und wie gewöhnlich hatte alles damit geendet, dass man sich gepaart hatte, immer noch in der seltsam vierbeinerhaften Stellung, die einzige, die sie leiden mochte. Jacquemort war diese erschöpfende Stummheit leid geworden, und nur der Hand- und Sexualgeruch dieses Mädchens vermochte ihn damit zu versöhnen, dass sie sich auf präzise Fragen nur ausweichende und vage Antworten entlocken ließ. In ihrer Abwesenheit empörte er sich über sie, legte sich wohl auch eine jungenhaft-lächerliche Schelte für sie zurecht, war aber, kaum wieder mit ihr zusammen, entwaffnet von diesem Schweigen, von dieser Trägheit, beide viel zu naturgegeben, als dass er hätte dagegen aufkommen können, und viel zu einfach, als dass etwas anderes als vollständige Mutlosigkeit in ihm entstanden wäre. Er beroch seine Handfläche, er sah sich im Geiste von ihr Besitz ergreifen und denselben behaupten — schon bei der bloßen Erinnerung daran geriet sein Fleisch in Erregung, trotz seiner Abgespanntheit.
    Mit Beendigung seiner Toilette, wobei er vermieden hatte, sich die Hände zu waschen, beschloss er, Angel aufzusuchen. Er hatte das Bedürfnis nach einem Gesprächspartner.
    Da Angel nicht in seinem Zimmer war — eine durch die Abwesenheit jeglicher Reaktion auf drei Serien von je drei aufeinanderfolgenden Pochschlägen gegen die Tür sattsam bewiesene Tatsache — überprüfte er mit der nämlichen Methode verschiedene andere Räume und schloss auf erfolgte Ortsveränderung des fraglichen Individuums.
    Vom Garten her klang Sägegeräusch. Dort war er.
    Beim Einbiegen in die Allee roch Jacquemort verstohlen an seinen Fingern. Der Geruch hielt sich hartnäckig.
    Der Kreischgesang der Säge wurde deutlicher. Bei der Garage sah er Angel in blauen Leinenhosen, ohne Jacke, gerade an einem schweren, auf zwei Böcken ruhenden Balken sägen.
    Jacquemort ging zu ihm hin. Das unregelmäßige, zerklüftete Kopfstück des

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