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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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hatte, glitt faltenlos, ja beinah unbewegt und rein dahin. In einiger Entfernung schwamm keuchend La Gloïre, um in sein Boot einen Fetzen bleichen Fleisches zu bergen, das sich zwischen seinen Zähnen schon zu zerfasern begann.

5
    Zögernd schaute Jacquemort um sich. Niemand hatte seine überstürzte Flucht bemerkt. Die Kirche lag da wie ein Ei, mit ihrem blauen Fenster, das wie das Loch zum Ausschlürfen aussah. Drinnen war Singstimmengewirr zu hören. Jacquemort ging um das Gebäude herum und stieg ohne Eile die Stufen hoch. Er trat ein.
    Der Pfarrer stand vor dem Altar und schlug den Takt. Etwa zwanzig Kinder grölten im Chor einen Erstkommunionsgesang, dessen spitzfindig-hinterfotziger Text des Psychiaters Hellhörigkeit aufs lebhafteste entfachte, so dass er — um nur alles recht mitzukriegen — näher an den Altar herantrat.
    Der Weißdorn ist ein Blütenbaum,
    Das Öl ist einfach ölig,
    Gut sch... ist ein Wonnetraum,
    Jesus allein macht selig.
    Das Gras ist für das liebe Vieh,
    Das Fleisch ist für den Herrn Papa,
    Das Haar bedeckt die Kopfpartie,
    Doch Jesus steht weit besser da:
    Denn Jesus ist der Fluxus,
    Geradezu der Pluxus,
    Auf jeden Fall ein Luxus.
    Doch da erkannte der Psychiater auch schon, dass der Urheber des Gesangs der Pfarrer selbst sein musste, und achtete nicht mehr auf das Gedicht, erwägend, dass es ihm ein leichtes sei, davon eine Abschrift zu erbitten. Die Musik hatte etwas Ruhe in sein aufgestörtes Gemüt zurückgebracht. Da er den Pfarrer nicht in seinen Repetitorien stören wollte, setzte er sich geräuschlos hin. Es war kühl in der Kirche; die Kinderstimmen widerhallten in dem weitläufigen Gebäude und verfingen sich echohaft im verwinkelten Zierrat der Seitenwände. Indem er seine Augen hin- und herschweifen ließ, bemerkte Jacquemort, dass man die Klapptürenkanzel wieder aufgestellt hatte, und dass zwei starke Scharniere ihr jetzt zu kippen erlaubten, ohne dabei etwas zu beschädigen. Er wurde sich bewusst, dass er seit der Taufe der drei kleinen Racker nicht mehr an diesen Ort zurückgekehrt war, und dachte, wie die Zeit vergeht, und die Zeit verging in der Tat, denn schon lagen Schatten mildernd auf der kühlen Härte des blauen Altarfensters, und die Stimmen der Kinder wurden zunehmend leiser; ähnlich verhält es sich mit der Musik und der Dunkelheit, als deren Begleitempfindung sich immer etwas Schauernd-Feierliches einstellt, das einem die Seele heilend umhüllt.
    Er ging angenehm beruhigt hinaus und dachte daran, dass er beim Hufschmied vorbeischauen musste, um sich bei der Rückkehr einen Anpfiff von Clémentine zu ersparen.
    Der Abend dämmerte. Jacquemort machte sich zum Dorfplatz auf, wobei er mit der Nase dem Geruch von verbranntem Huf folgte, der undeutlich in der Luft schwelte. Er schloss die Augen, um nicht irregeführt zu werden, und seine Nüstern lenkten ihn bis zur düsteren Werkstatt, wo der Schmiedelehrling mit kräftigen Blasebalgtritten das Feuer in der Esse in Gang hielt. Vor dem Tor wartete ein Pferd auf sein letztes Hufeisen. Man hatte es gerade einer Vollschur unterzogen, abgesehen vom unteren Teil der vier Gliedmaßen, und Jacquemort bewunderte seine schöne wohlgerundete Kruppe, seinen anmutig geschwungenen Rücken, seine mächtige Brust und seine hartbürstige Mähne, die aussah wie eine Buchsbaumhecke.
    Der Hufschmied kam aus seiner rußgeschwärzten Höhle. Es war derselbe, den Jacquemort eine Stunde zuvor den Weg hatte heraufkommen sehen, um den Hengst zu foltern.
    »Guten Tag«, sagte Jacquemort.
    »Guten Tag«, antwortete der Schmied.
    In der rechten Hand hielt er mit einer langen Zange ein Stück rotglühendes Eisen. Am unteren Ende seines Arms baumelte ein schwerer Hammer.
    »Heb das Bein«, sagte er zum Pferd.
    Letzteres gehorchte und wurde im Handumdrehen beschlagen. Eine lebhafte blaue Rauchschwade von verkohltem Horn stieg auf und verfinsterte die Luft. Jacquemort musste husten. Das Pferd setzte seinen Fuß auf den Boden und probierte sein Hufeisen aus.
    »Passt es?«, fragte der Schmied. »Ist es nicht zu klein?«
    Das Pferd gab ein verneinendes Zeichen, legte seinen Kopf auf die Schulter des Schmiedes, der ihm die Nüstern streichelte. Sodann entfernte sich das Tier ruhigen Schritts. Auf der Erde lag eine Menge kleiner Haarhäufchen, wie in einem Friseurladen.
    »He du!«, rief der Schmied seinen Lehrling. »Komm her und kehr das zusammen! ...«
    »Jawohl«, sagte die Stimme des Lehrlings.
    Der Hufschmied wollte gerade wieder

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