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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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sagte Jacquemort.
    »Ich geh jetzt. Ich schäme mich vor mir selber!«
    »Wegen nichts und wieder nichts«, bemerkte Jacquemort.
    »Doch«, gab sie zurück, »ich hätte es nicht tun sollen, schon von allem Anfang an nicht.«
    »Wenn du mir etwas mehr erzählen würdest«, sagte Jacquemort, »könnte ich versuchen, deinen Gefühlshaushalt ein wenig in Ordnung zu bringen. Aber leider bist du alles andere als gesprächig!«
    »Und dabei hatte es mir Madame noch gesagt!«, zeterte sie. »Ich will Sie nie wieder sehen!«
    »Dann eben nicht«, sagte der Psychiater trocken. »Ich denk mir schon meinen Teil.«
    »Und ich werde Ihnen kein Wort mehr verraten. Ich bin schließlich nicht dazu da, Ihre dreckigen Gelüste zu befriedigen!«
    Jacquemort grinste und begann, sich wieder anzukleiden. Niemals hatte er im Ernst damit gerechnet, diese Unglückliche psychoanalysieren zu können. Er würde schon etwas Besseres finden. Er schlüpfte in die Schuhe und stand auf. Sie wimmerte immer noch vor sich hin.
    »Ach hau doch ab«, sagte er gelangweilt.
    Sie gehorchte schniefend. Sie musste ihn wirklich abgrundtief hassen. Er lächelte beim Gedanken daran, dass es, so gesehen, eine gelungene Analyse war. Und dann haschte er mit einem leichten Satz einen verspäteten Schmetterling, der gerade vorbeiflatterte, und schluckte ihn befriedigt hinunter.

12
    13. Juli
    Vor der Freitreppe des Hauses gab es einen ebenen, kiesbedeckten Vorplatz, auf dem die drei Kinder nach Beendigung ihrer Mahlzeit gerne spielten, bis sie vom Dienstmädchen, das soeben den Erwachsenen das Essen servierte, zu ihrem Nachmittagsschläfchen hingelegt wurden. Man konnte sie auch von den Esszimmerfenstern aus überwachen. Diese Aufgabe fiel Jacquemort zu, der dem Fenster am nächsten saß. Ihm gegenüber rollte Clémentine zerstreut Toastbrotkügelchen zwischen ihren Fingern, ein reichlich undankbares Geschäft, dem sie da nachging. Sie sahen einander fast nur noch zu den Mahlzeiten. Zwar schien sie zu wünschen, dass er noch länger in ihrem Hause wohnen blieb, aber sie beschränkte sich im Allgemeinen darauf, ihn mit Allerweltsgesprächen abzuspeisen; er seinerseits wagte es kaum, persönliche Themen anzuschneiden.
    Culblanc brachte stumm und mit saurer Miene eine Schüssel herein und stellte sie vor Jacquemort hin. Er hob den Deckel und sagte höflich:
    »Nehmen Sie sich zuerst, Clémentine, ich bitte Sie.«
    »Das ist für Sie«, sagte sie. »Ganz für Sie allein. Eine Katzenleibspeise.«
    Sie lächelte leicht maliziös. Er sah genauer hin.
    »Aber ... das ist ja Lunge!«, rief er entzückt aus.
    »Ganz recht«, sagte Clémentine.
    »Roh wäre sie mir eigentlich noch lieber gewesen«, sagte Jacquemort beiläufig, »aber wirklich, sehr aufmerksam ... Clémentine, Sie sind wirklich ein Engel.«
    »Ich mag Sie gut leiden«, sagte sie, »aber trotzdem hätte ich nicht mitansehen können, wie Sie sie roh essen.«
    »Verständlich«, sagte Jacquemort, indem er sich eine große Portion herausschöpfte. »Aber reden wir von Lunge! Sie lässt an Köstlichkeit alle Mäuse und Vögel dieser Erde weit hinter sich.«
    »Ich freue mich, dass es Ihnen schmeckt«, sagte sie.
    »Ein Vogel«, gab Jacquemort zu bedenken, »ist nicht zu verachten, wohlgemerkt; aber diese schauderhaft lästigen Federn! ...«
    »Ja, das ist auch wieder wahr. Das ist eben die Kehrseite der Medaille. Aber wie ist es mit Mäusen?«
    »Rein zum Zeitvertreib, ja«, sagte Jacquemort, »aber schmackhaft sind sie nicht.«
    »Nun, wie auch immer«, sagte sie, »das erweitert Ihre Geschmacksskala. Das bleibt jedenfalls zu wünschen. An wem arbeiten Sie eigentlich im Augenblick, wenn ich fragen darf?«
    »Sie sind so liebenswürdig zu mir«, sagte Jacquemort, »weil Sie wissen, dass Ihr Dienstmädchen mir den Laufpass gegeben hat.«
    »Ja«, sagte sie. »Ich muß zugeben, dass mir das Vergnügen macht. Was haben Sie denn im Dorf so aufgetrieben? Sie gehen ja ziemlich häufig hin, wie mir scheint?«
    »Oh!«, sagte Jacquemort. »Da ist nicht viel los, wissen Sie. Ich treffe mich ziemlich oft mit La Gloïre!«
    »Ich meine jetzt Frauen«, sagte Clémentine.
    »Darauf bin ich nicht so aus«, sagte Jacquemort. »Sie wissen ja, dass dieser Kater kastriert war? Ich bin mir da zwar nicht ganz sicher, aber ich glaube doch, dass mich das ein bisschen beeinflusst hat.«
    Er log.
    »Ich weiß aber, dass Sie auf der Suche sind«, sagte Clémentine.
    Jacquemort sah den kleinen Kindern zu, wie sie eins hinter dem anderen im

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