Der Herzausreißer
»ich wollte gerade den Kindern das Vesperbrot machen und ... hier bin ich nun.«
Sie befühlte ihren Kopf.
»Irgendwie kommt es mir so vor, als sei ich auf diesen Tisch geworfen worden; ich habe eine Beule.«
»Vielleicht ein Sukkubus ...«, sagte Jacquemort.
Sie hatte sich nun ihre Hose wieder zugeknöpft und glättete sich das Haar.
»Nun gut. Sowas kommt eben vor«, schloss sie. »Ich glaubte, dass mir dergleichen erspart bliebe. Jetzt gehe ich den Kindern ihr Vesperbrot machen.«
»Das haben sie bereits gekriegt«, präzisierte Jacquemort.
Clémentines Gesicht verfinsterte sich.
»Wer hat es ihnen gegeben?«
»Ihr Mann«, sagte Jacquemort. »Und ich war es, der ihnen die Gesichter abgewischt hat.«
»Angel ist hier hereingekommen?«
»Ja«, sagte Jacquemort platt.
Sie stürzte an ihm vorbei und eilte in den Garten. Als sie in die Allee einbog, lief sie schon fast. Jacquemort ging wieder nach oben. Er dachte. Also war er. Aber nur er allein.
10
Angel hatte seinen Niethammer wieder zur Hand genommen und machte sich nun an der anderen Bordseite zu schaffen. Er legte gerade den Handamboss an der Innenseite an, als Clémentine erschien, rot im Gesicht vom schnellen Laufen. Als sie sie erblickten, stießen die Zwillinge ein Freudengekreisch aus, Citroën lief zu ihr und nahm sie bei der Hand. Angel schaute auf, peilte die Lage und zuckte zusammen.
»Wer hat ihnen das Vesperbrot gemacht?«, fragte sie.
»Ich«, antwortete Angel trocken.
Etwas in ihrem Tonfall überraschte ihn.
»Und mit welchem Recht?«
»Jetzt reicht’s aber!«, sagte Angel heftig.
»Ich frage dich, mit welchem Recht du den Kindern das Vesperbrot gemacht hast, wo wir doch übereingekommen sind, dass du dich nicht darum zu kümmern hast?«
Noch ehe sie Zeit gehabt hätte, den Mund wieder zuzumachen, klatschten die Ohrfeigen nur so auf sie nieder. Sie taumelte unter der Wucht der Schläge. Angel war weiß wie ein Leintuch und zitterte vor Wut.
»Genug!«, donnerte er.
Dann schien er sich zu beruhigen, während sie sich zaghaft mit der Hand an die Backe fasste.
»Es tut mir leid«, sagte er schließlich. »Aber du gehst zu weit.«
Die Kinder fingen an zu schreien, Citroën bückte sich und hob einen Nagel auf. Er ging zu Angel und rammte ihm mit allen seinen kleinen Kräften den Nagel ins Bein. Angel verzog keine Miene. Clémentine fing zu lachen an; es war ein schluchzendes Lachen.
»Genug sag ich«, wiederholte Angel in gereizter Spannung.
Sie hörte auf.
»Eigentlich«, fuhr er fort, »tut es mir nicht leid. Leid tut mir nur, dass ich nicht fester zugeschlagen habe.«
Clémentine schüttelte den Kopf und ging. Die drei Kinder folgten ihr. Von Zeit zu Zeit wandte sich Citroën um und warf seinem Vater einen vernichtenden Blick zu. Angel blieb in Gedanken versunken zurück. Er ließ die Szene, die sich soeben abgespielt hatte, noch einmal vor seinem inneren Auge abrollen und geriet in betroffene Aufregung; dann sah er im Geist seine Frau auf dem Esstisch liegen, und Schamröte stieg ihm auf Stirn und Wangen. Er wusste nunmehr, dass er nie wieder nach Hause gehen würde. Im Schuppen gab es genug Sägemehl und Späne, dass man bequem darauf schlafen konnte, und zudem waren die Nächte lau. Er fühlte ein leichtes Jucken am linken Bein. Er beugte sich hinunter und zog den Nagel heraus, eine feine goldgelbe Spitze; auf seiner grünlichen Drillichhose war ein brauner Fleck von der Größe einer Wanze zu sehen. Einfach lächerlich. Die armen Würstchen.
11
20. Mai
Seit Angels Entschluss, im Schuppen zu wohnen, hielt sich Jacquemort immer seltener im Hause auf. Er fühlte sich in Gegenwart Clémentines nicht mehr wohl. Sie war zu sehr Mutter, auf einer allzu andersartigen Ebene. Nicht, dass er darin etwas Schlechtes gesehen hätte, denn er log nicht, wenn er behauptete, dass er leer war und mit dieser Tatsache ausdrücken wollte, dass er auch keinerlei Kenntnis ethischer Werte besaß. Es störte ihn in rein physischer Hinsicht.
Ausgestreckt in einem Winkel des Gartens, wo im Überfluss das Tatterkraut gedieh, welches dem maßvollen Benutzer Mut und Entscheidungskraft verleiht, kaute Jacquemort zerstreut an einem der kantigen Stengel. Er wartete auf Culblanc, die sich zu ihm gesellen und mit ihm das Ende dieses konturlosen Tages verbringen sollte. Dieser Gedanke an Konturen brachte ihn darauf, mit der Hand den Sitz seiner Hose zu überprüfen. Wie gewöhnlich würde das alles zweifellos wieder ein psychiatrisches Nachspiel
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