Der Herzausreißer
Bäume doch wegen ihrer wahrscheinlich funktionellen Schönheit und ihrer anarchischen Einförmigkeit lieb und teuer geworden. Er fühlte sich ihnen innerlich nahe genug, dass er weder das Bedürfnis verspürte, mit ihnen zu reden, noch ihnen Oden zu widmen; aber er liebte den matten Widerschein des Sonnenlichts auf den gelackt anmutenden Blättern, das Schattenpuzzlespiel, für das sich die Blätter dem Tag als Schablonen hingaben, das leise, lebendige Geflüster der Zweige und den Geruch ihrer Ausdünstung am Abend nach einem heißen Tag. Er liebte die spitzen Zungen der Drachenbäume, die schuppig-geriffelten Strünke der stämmigen Palmen, die glatten und frischen Gliedmaßen der Eukalyptusbäume, die hoch aufgeschossenen, linkischen und zu schnell gewachsenen Mädchen glichen, wie sie liebenswert-ungraziös ihren wertlosen grünspanüberzogenen Kupferschmuck spazieren führen, nachdem sie sich Mutters Parfümfläschchen über den Kopf geleert haben. Er bewunderte die Kiefern, wie sie, bei ihrem unnahbar ernsten Äußeren, schon beim geringsten Berührungskitzel so bereitwillig ihr duftendes Harz verströmen konnten. Und er liebte auch die krüppeligen Eichen, die wie große, bullige und struppige Hunde dahockten. Er liebte überhaupt alle Bäume. Alle hatten eine eigene Persönlichkeit, ihre eigenen Sitten und ihre eigenen Schrullen und Vorlieben, aber alle waren sie sympathisch. Indes, die erstaunliche Mutterliebe Clémentines rechtfertigte ihre Opferung.
Die Männer blieben mitten im Rasen stehen und legten ihre Geräte ab. Sodann griffen zwei von ihnen zur Hacke und begannen zu graben, während die Lehrlinge mit großen Erdschaufeln, die länger waren als sie selbst, die aufgeworfene Erde wegräumten. Schnell zog sich der Graben hin. Jacquemort war denselben Weg wieder zurückgekommen und verfolgte diese Verrichtungen mit argwöhnischer Aufmerksamkeit. Die Lehrlinge häuften die Erde am Rand des Grabens auf und stampften sie fest, so dass ein breiter und niedriger Wall entstand.
Als die Arbeiter den Graben für tief genug befanden, hörten sie auf zu hacken und stiegen heraus. Ihre Bewegungen waren langsam und gesetzt, und ihre braunen, erdigen Kleider verliehen ihnen eine Ähnlichkeit mit großen Erdkäfern, die mit dem Vergraben ihrer Nachkommenschaft beschäftigt sind. Die Lehrlinge hoben immer noch Grund aus und häuften die Erde schwitzend und wie besessen an den Grabenrändern entlang auf. Gewissermaßen als Ermunterung kriegte in regelmäßigen Abständen jeder eine saftige Ohrfeige verpasst. Unterdessen waren die drei übrigen Erdarbeiter zum Gartengitter gegangen und kamen nun zurück, wobei sie einen Handwagen, hochbeladen mit Knüppelholz von einem Meter Länge, hinter sich her auf das Plateau zogen. Sie stellten das ungefüge Fahrzeug neben dem Graben ab. Dann begannen sie, die Holzknüppel quer über die von den Lehrlingen soeben festgestampfte Erdunterlage zu legen. Sie reihten sie sorgfältig und lückenlos aneinander und versetzten jedem Ende einen kräftigen Hieb, um dem Ganzen festen Halt zu geben. Nachdem der Unterstand fertiggestellt war, nahmen sie wieder die Schaufeln zur Hand und machten sich daran, die Holzknüppel wieder mit Erde zu bedecken. Jacquemort winkte einen der Lehrlinge zu sich heran.
»Was machen die da?«, fragte Jacquemort und gab ihm widerstrebend einen Tritt gegen das Schienbein.
»Das ist der Unterstand«, sagte der Lehrling, die Hand schützend vors Gesicht haltend; dann empfahl er sich und rannte zu seinen Kumpanen zurück. Die ihn bei der Ohrfeigenverteilung nicht zu kurz kommen ließen.
An diesem Tag schien keine Sonne, und der bleierne Himmel schimmerte in fahlem und unangenehmem Glanz. Jacquemort fröstelte es ein bisschen, aber er wollte dennoch weiter zusehen.
Der Unterstand schien jetzt fertig zu sein. Nacheinander stiegen die fünf Männer die sanft abschüssige, an einem Grabenende angebrachte Rampe hinunter. Alle fünf fanden im Unterstand Platz. Die Lehrlinge machten gar keinen Versuch, ihnen zu folgen, da sie sich schon im Voraus das Resultat solchen Unterfangens ausmalen konnten.
Die Männer kamen wieder herauf. Vom Haufen der Gerätschaften nahmen sie Haken und Spitzeisen. Die beiden Lehrlinge machten sich an den Kohlenbecken zu schaffen und fachten aus Leibeskräften die Glut an. Auf einen Befehl des Gruppenführers hin beeilten sie sich, die schweren glühend heißen Kohlenbecken aufzuheben und folgten damit den Männern zum ersten Baum.
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