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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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Jacquemort wurde zunehmend unruhiger. Das erinnerte ihn an den Tag, an dem man am Scheunentor den unzüchtigen Hengst gekreuzigt hatte.
    Am Fuße einer zehn Meter hohen Dattelpalme stellte man das erste Kohlenbecken ab, und jeder steckte eines seiner Werkzeuge in die Glut. Das zweite wurde auf die gleiche Weise neben einem benachbarten Eukalyptusbaum hingestellt. Die Lehrlinge fingen an, in die Glut zu blasen, diesmal aber mit großen Lederblasebälgen, auf die sie mit aneinandergelegten Füßen sprangen. Unterdessen legte der Anführer sein Ohr vorsichtig an den Stamm der Dattelpalme, bald hierhin, bald dahin. Plötzlich hielt er inne und machte eine rote Markierung auf die Rinde. Der stämmigste der vier Holzfäller zog seinen Haken aus dem Feuer; es war eher ein pfeilförmiges Eisen als ein richtiger Haken, ein gestählter Harpunenspeer, dessen hellrote Zacken in der schweren Luft rauchten. Mit einer entschlossenen Bewegung nahm er erst sicheren Stand, holte weit aus und harpunierte den glatten Stamm genau in der Mitte der roten Markierung. Schon hatten die Lehrlinge im Laufschritt das Kohlenbecken weggebracht, und schon machte einer seiner Kameraden dasselbe beim Eukalyptusbaum. Und dann liefen die beiden Harpuniere, so schnell sie ihre Beine tragen konnten, zum Unterstand zurück und verschwanden darunter. Die Lehrlinge kauerten sich am Eingang, neben den Kohlenbecken, nieder.
    Der Blätterschopf der Dattelpalme fing an zu zittern, zuerst kaum merklich, dann lebhafter, und Jacquemort biss die Zähne zusammen. Ein so spitzes und markerschütterndes Klagegeheul brach los, dass man sich die Ohren zuhalten musste. Der Stamm der Dattelpalme geriet ins Schwingen, und mit jedem Ausschlag beschleunigte sich der Rhythmus der Schreie. Das Erdreich zu Füßen der Dattelpalme barst und öffnete sich. Der unerhörte Ton durchbohrte die Luft, zerriss die Trommelfelle, widerhallte im ganzen Garten und schien sich an der tiefhängenden Wolkendecke zu brechen. Mit einem Mal riss sich der Strunk aus der Erde, und der lange gekrümmte Stamm schlug in Richtung des Unterstandes der Länge nach hin. Doch da sprang und tanzte er auch schon über den Boden, näherte sich nach und nach dem Graben und stieß immer noch dieses unerträgliche Geheul aus. Wenige Sekunden später fühlte Jacquemort zum zweiten Mal den Boden erbeben. Der Eukalyptus war nun seinerseits auch umgestürzt. Er schrie nicht; er keuchte wie ein wildgewordener Schmiedeblasebalg, und seine silbrigen Zweige schlangen sich um ihn, wühlten tief den Boden auf beim Versuch, den Graben zu erreichen. Die Dattelpalme erreichte in diesem Augenblick das äußere Ende der Knüppeldecke und begann unter schnell aufeinanderfolgenden Kontraktionen darauf herumzuhämmern; aber schon nahm das Wehgeschrei an Stärke ab, und der Rhythmus wurde immer langsamer und langsamer. Der schwächlichere Eukalyptusbaum lag als erster still, einzig seine dolchklingenförmigen Blätter zitterten noch nach. Die Männer stiegen aus dem Graben. Ein letztes Mal schnellte die Dattelpalme hoch. Aber der Mann, auf den sie es abgesehen hatte, sprang lässig beiseite und brachte ihr einen kräftigen Hieb mit der Axt bei. Daraufhin war alles stumm. Nur noch ein paar Schauerwellen durchliefen die graue Säule. Noch ehe alles zu Ende war, hatten sich die Holzfäller zu den benachbarten Bäumen aufgemacht.
    Jacquemort stand wie angewurzelt da, außer sich und mit schmerzendem Schädel stierte er sie an. Als er sah, wie die Harpune zum dritten Mal ins zarte Holz eindrang, konnte er nicht mehr länger an sich halten, er wandte sich um und floh zur Steilküste. Er lief und lief, und die Luft um ihn vibrierte vom Wutgeschrei und Wehgeheul des Baummassakers.

18
    11. Oktember
    Nun war alles still. Alle Bäume lagen mit den Wurzeln in der Luft auf der Erde, die von riesigen Löchern übersät war, wie nach einem Bombenangriff von innen heraus. Große leere, ausgetrocknete, trostlose Geschwüre. Die fünf Männer waren ins Dorf zurückgekehrt, und die zwei Lehrlinge wurden mit dem Auftrag zurückgelassen, die Baumkadaver zu Kleinholz zu verarbeiten und dieses aufzustapeln.
    Jacquemort sah sich das Desaster an. Nur noch etwas Buschwerk und Unterholz war übriggeblieben. Es gab nun gar nichts mehr zwischen seinen Augen und dem Himmel, der nun plötzlich befremdlich nackt und schattenlos war. Von rechts hörte man das Klappern einer Heckenschere. Der jüngere der beiden Lehrlinge kam vorüber, eine lange, zweigriffige,

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