Der Herzberuehrer
also viel zu verdanken.
Daran schien Shiro sich erinnert zu haben. Ricardo und sein Umfeld waren damals so etwas wie eine 'neutrale Zone' für uns gewesen, die Möglichkeit unsere Gedanken zu sortieren und sie auf eine Linie zu bekommen. Nun, wo es uns nicht gerade gut ging, erhoffte sich Shiro möglicherweise ähnlich weitreichende Folgen von unserem Besuch...
Ricardo war Maler. Er lebte vom Verkauf seiner Bilder, einem Lehrauftrag an der Genoveser Universität und von einem unbestimmten Vermögen, das er einst von seinen Eltern geerbt hatte. Eine umgebaute Fabrikhalle diente ihm als Wohnung, aber zugleich auch als Atelier.
Ricardo musste mittlerweile so ende Dreißig sein, überschlug ich während der Fahrt, seine unglaubliche, blonde Lockenmähne vor Augen.
Es war klar, dass wir wieder auf dem Sofa schlafen würden. Es war aber auch klar, dass wir willkommen waren. So gut konnten wir ihn einschätzen.
Seine Reaktion bestätigte dies.
»Ja, klar...«, klang es erfreut über meine Freisprechanlage. »...Gar kein Problem. Ich bin hier, die nächsten Wochen.«
»...Wir freuen uns auf dich...«
»Und ich mich erst...« Wir hörten ihn lachen, dann fügte er noch hinzu, so als würde er mit dem Kopf schütteln »...Ihr zwei...« und legte auf.
Ihr Zwei - keine Ahnung, was er nun dachte, aber ich war mir sicher, er wusste, dass sich bei uns so einiges geändert hatte. Immerhin stand er mit Renzo sowohl über die Uni, als auch privat in regelmäßigem Kontakt.
Nachdem nun klar war, wohin uns die Reise führen würde, wandelte sich die Stimmung.
Schon verblüffend, wie eine einfache Idee, eine kleine Veränderung, Einfluss auf das Befinden nehmen kann.
Unser Ausflug nach Ravenna, als solchen sahen wir die Fahrt, zauberte uns tatsächlich so etwas wie ein Lächeln der Vorfreude in unsere Gesichter.
Es war eine Flucht, da machten wir uns nichts vor, aber wir hofften, dass sie vielleicht etwas Heilendes in sich hatte.
Außerdem: Flucht muss nicht immer verkehrt sein...
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Hallo Buch!!!
206 Knochen, zwei Quadratmeter Haut, sieben Liter Blut, 13 Organe und Sonstiges wie Muskeln, Fett, Horn oder Zähne. All das steckt an und ineinander und formt daraus - mich.
Was für ein Aufwand.
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Es hatte sich kaum etwas verändert. Ricardo folgte einem Hang zur Monstrosität, zumindest in der Möblierung. Gewaltige Ledersofas, ein riesiger Esstisch und Stahllampen von enormem Umfang, deren Kabel von der Decke bis fast auf den Boden reichten: All das war uns vertraut. Ebenso wie der Geruch. Eine Mischung aus einem Holzfeuer, das den prasselnden Scheiten im Gussofen geschuldet war sowie den Aromen von Terpentin und Ölfarbe, welche den Leinwänden und Pinseln entströmten. Diese lagerten im vorderen Bereich, die Bilder teils in Arbeit, teils vollendet und in ihren Ausmaßen ebenfalls ziemlich gigantisch.
Ricardo, begrüßte uns mit einer innigen Umarmung und in der Folge mit viel Käse und einem kräftigen Roten.
Es war wirklich fast wie damals. Und es tat in diesem Moment einfach sehr gut, an diesem Ort zu sein.
»Nun erzählt - wo kommt ihr gerade her?«, fragte er, während ich dabei war, die dritte seiner filterlosen Zigaretten zu rauchen
Wir erzählten es ihm.
»Wie alt ist er geworden...«
»Dreiundzwanzig...«, es war Shiro, der geantwortet hatte.
Irgendwann erhoben wir die Gläser, stießen auf Daniele an - und ließen es damit gut sein. Ich war froh, dass das Thema nicht den ganzen Abend dominierte. Aber ich vermutete, es war nicht vom Tisch, es war nur vertagt. Es war einfach gut so.
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Renzo hatte mich einmal mit Edmond Dantes, dem Grafen von Monte Christo verglichen, damals, als ich es meinen Eltern heimzahlen wollte. Daran musste ich nun denken, als ich im Dunkeln auf dem Sofa lag und mit meinem Blick den blauen Schatten der Fensterkreuze folgte, die immer dann an der Decke entlangwanderten, wenn ein Auto vorbeifuhr. Shiros Atmen drang leise zu mir, ruhig, entspannt und irgendwie sehr vertraut.
Edmond Dantes. Ich mochte die Figur des Rächers. Mir gefiel die Idee, das Durchdachte daran, das Inszenierte. Wie ein großes Theaterstück. Scheinbar hatte ich einen Hang dazu, und ich dachte zurück an Fano, an meine Eltern. An meine ureigene Rache. So Unrecht hatte Renzo da gar nicht.
Edmond Dantes...
Ich drehte mich auf die Seite und lauschte Shiro, um mich von seinem Schlaf anstecken zu lassen.
Doch dann drängte sich das Bild von Maria Sabricci vor meine Müdigkeit, wie sie klein, zart und so
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