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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jobst Mahrenholz
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sie vorsichtig hochkant auf die Tischplatte, sodass ich einen sauberen Stapel Papier erhielt und schob das Ergebnis in einen von vier beschrifteten Din A4 Umschlägen. Dieses Prozedere wiederholte ich drei weitere Male. Dann nahm ich die grüne Kladde von der Glasplatte des Kopierers, klappte sie zusammen, schob sie zu den Umschlägen in meine Tasche, ging zur Kasse und zahlte.
    So etwas wie innere Ruhe erfasste mich und entlockte mir ein Lächeln, ein humorloses...
    ·
    Danieles Bestattung fand auf dem Ponte della Pietra statt, südlich von Perugia. Diese Information verdanken wir der Indiskretion eines Familienmitglieds. Shiro hatte dessen Nummer herausgefunden, dort einfach angerufen und sich direkt nach Daniele erkundigt.
    Man verstehe überhaupt nicht, so die Auskunft, weshalb Maria und Eduardo sich gegen eine häusliche Aufbahrung entschlossen hätten, nein, man verstehe es nicht, und, ja, die Beisetzung fände am kommenden Dienstag um zehn Uhr im Cimitero auf dem Ponte della Pietro statt, allerdings im engsten Familienkreis, da bäte man um Verständnis.
    Dass Danieles Eltern auf die Tradition der häuslichen Aufbahrung verzichteten, obwohl sie in der Familie scheinbar üblich gewesen war, bestätigte mir einmal mehr, dass die Sabriccis mit ihrem Sohn abgeschlossen hatten.
    Shiro und ich fuhren einen Tag vor der Beisetzung Richtung Perugia. Es war ein eiskalter sonniger Montagmorgen, als wir starteten. Und schon so gegen zwei Uhr erreichten wir die ersten Randgebiete der Stadt.
    Eine stille, beklemmende Fahrt lag hinter uns. Nicht nur des Anlasses wegen. Es lag am Ziel. Shiros alte Heimat. Der Ort, an dem er von Kindheit an hatte lernen müssen, mit einem gewalttätigen Vater, aber auch mit einer labilen Mutter klarzukommen.
    Es war jene Stadt, die ihm seinerzeit keine eindeutige Antwort auf seine Identität, auf all seine drängenden Fragen hatte geben können, in der er jedoch begreifen musste, dass er anders tickte als die anderen. Sowohl äußerlich als innerlich. Aber ob er wollte oder nicht, es war seine Heimatstadt. Zumindest diesen Teil konnte ich nachempfinden.
    »Lass uns ein Hotel am Ponte suchen, ja?«, bat er mich und ich verstand. Bloß nicht in die Nähe meines früheren Zuhauses hieß das.
    Ich ärgerte mich, dass ich nicht früher daran gedacht hatte.
    »Wir machen das anders...«, beschloss ich, nahm nach drei Kilometern die Ausfahrt, um dann in entgegengesetzter Fahrtrichtung umzukehren. »Wir übernachten in Arezzo... das ist eh viel schöner...«
    Ein Seitenblick zu ihm zeigte mir, dass ich eine gute Entscheidung getroffen hatte. Er lächelte scheu in meine Richtung und begann sich zumindest etwas zu entspannen.
    »Meinst du, es ist richtig, was wir tun?«, fragte er wenig später, während wir die unsichtbare Grenze zur Toscana überfuhren.
    »Ich weiß es nicht. Aber irgendetwas müssen wir doch tun, oder?« Und dabei dachte ich an den ockerfarbenen Umschlag auf dem Rücksitz, adressiert an Maria und Eduardo Sabricci. Absender: Daniele Sabricci.
    »Ich denke schon, dass es das Richtige ist...«
    ·
    Das schwarze Auge verfehlte seine Wirkung nicht.
    »Echt hart...«, lautete Shiros Kommentar und ich sah seinem Gesicht an, dass ihm unwohl war, wenn ich ihn damit betrachtete.
    Perfekt! So wollte ich es haben.
    Blank und böse funkelte es, wie das einer Krähe.
    Es gefiel mir.
    Meine Augenschmiede hatte es mir zusammen mit einem neuen Paar braunen per Post zugeschickt. Sie fragten bei meinen Bestellungen nicht mehr nach, sondern lieferten einfach kommentarlos, was ich wünschte.
    Shiros 'Echt Hart' Kommentar fiel am Morgen der Beerdigung. Wir waren früh wach, nach einer unruhigen, beinahe schlaflosen Nacht.
    Vor uns lagen eine anderthalbstündige Autofahrt und das Zusammentreffen mit den Sabriccis.
    »Bist du ihnen schon mal begegnet?«, lautete meine Frage einen Abend zuvor.
    Wir hatten da in einem kleinen Restaurant, inmitten der Altstadt Arezzos, am Piazza Grande gesessen, ich vor einem Teller Kaninchenleber, Shiro reichte ein Carpaccio. Kein Appetit...
    »Nein...«, hatte seine Antwort da gelautet. »...Aber ich kenne sie von Bildern. Daniele hatte ein paar Fotos von ihnen.«
    »Dann würdest du sie wiedererkennen?«
    Ein trauriges Nicken. »...Denke schon...«
    Sehr viel mehr redeten wir nicht. So war das seit Danieles Tod.
    Shiro hatte erkennen müssen, dass, nun, wo es zu spät war, da noch eine Menge unausgesprochene Gefühle in ihm tobten.
    Und ich, ich quälte mich mit der Frage,

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