Der Herzberuehrer
unendlich fassungslos vor mir gestanden hatte. In ihrem Gesicht war echte Trauer zu lesen gewesen, ebenso wie echte Entrüstung. Diese Frau, die ihrem Sohn so fatal ähnelte, glaubte daran, dass Shiro die Mitverantwortung für den Tod ihres Sohnes trug. Sie war sich da sicher. Und ich erinnerte mich an eine Passage aus Danieles Kladde, eine über die Liebe, die ich, wie die meisten Einträge, bislang nur überflogen hatte. Es war noch nicht so leicht für mich, die Texte in Gänze zu lesen...
Zwei Menschen gibt es, die ich liebe - hieß es da. Und schon als ich es las war ich erstaunt darüber gewesen...
·
Hallo Buch!!!
Liebe! Ja, Liebe. Zwei Menschen gibt es, die ich liebe!
Meine Mutter Maria und meinen Mann, Shiro. Meine Mutter liebe ich rein. Meinen Mann liebe ich rein und unrein. Oder rein und raus? Ha,ha Scherz!!!
Nein, ich meine die Reinheit! So, wie klar, sauber, glatt. Ich habe, glaube ich, nicht viel geliebt bisher. Ich mag viele. Ich mag es wenn Menschen sich mit mir befassen.
Darum mag ich zur Zeit Valdena. Und ich mag Luca. Weil er sich mit mir befasst. Er versteht mich nicht, aber ich gefalle ihm. Ehrlich! Wie oft liebt ein Mensch? Sooft er geliebt wird? Das hängt bestimmt zusammen. Kann man sich selbst lieben? Es wird immer viel davon geredet. Aber was soll das bringen? Unrein kann ich mich selbst lieben. Aber eigentlich hat das nichts mit Liebe zu tun. Im Gegenteil. Aber wenn ich mich hassen kann, dann kann ich mich doch auch lieben. Ist Liebe eine andere Form von Hass? Ist es rein, die Mutter zu lieben, aber den Vater nicht? Ist das eine nicht wie das andere? Ist Liebe Abhängigkeit? Ich glaube, Liebe ist tatsächlich Abhängigkeit. Keine große Sache also. Liebe ist klein.
·
Als ich die Augen öffnete, fiel ein breiter Streifen Sonnenlicht quer über den monumentalen Esstisch auf die gegenüberliegende Bücherwand. Ricardo war gerade dabei, Panini von einer Plastiktüte in eine Holzschale umzufüllen. Der Duft von Caffé, aber vor allem ein Brett mit Schinken deuteten an, dass es mittlerweile schon Zeit für ein zweites Frühstück sein musste. Und tatsächlich, nachdem ich irgendwann im Morgengrauen weggedämmert war, hatte ich nun bis halb zwölf durchgeschlafen. Das sagte mir die Bahnhofsuhr an der Wand.
»Warum hast du mich nicht geweckt...?«, klagte ich verschlafen in Richtung Shiro, der sich mit zwei Bechern Caffé und einem Guten-Morgen-Lächeln neben mich gesetzt hatte.
»Warum hätte ich das tun sollen?«
Eine richtige Antwort wusste ich darauf auch nicht. Es wäre einfach nur gut gewesen, fand ich.
»Magst du es, wenn man dir beim Schlafen zusieht...?«
Ich erntete spöttisches Grinsen. Okay, wenn einer einschätzen konnte, ob ich gerade Stuss von mir gab oder nicht, dann war es Shiro.
»Der Caffé ist wunderbar...«, lenkte ich daher in sichere Gewässer.
»Was hältst du von einem Spaziergang, wenn wir hier fertig sind?«
Ich nickte. Das war eine gute Idee. Etwas, dass wir lange nicht zusammen gemacht hatten, was uns aber immer dabei geholfen hatte, den Kopf frei zu bekommen.
Also bummelten wir eine Stunde später in Punta Marina den grandiosen, breiten Pinienhain entlang, der das Meer von der Stadt trennte, erzählten dabei von alten Zeiten und genossen es, dass uns dieser Ort hier frei und unbelastet zur Verfügung stand.
Das Thema Daniele vermieden wir ebenso wie Gespräche über's L'amo. Eigentlich blieben wir unabgesprochen unseren Erinnerungen treu, ließen wiederholt unsere damalige Flucht aus Fano Revue aufleben, bewunderten uns für unseren Mut, unseren Leichtsinn, der uns da getrieben hatte, kamen so unweigerlich auf Lorenzo, unseren damaligen Retter zu sprechen und über diesen Umweg schließlich zu Rebeccas Hochzeit. »Sie hatte Ayumi eingeladen...«, sagte Shiro irgendwann, »...und sie ist nicht gekommen.« Seine Enttäuschung war deutlich herauszuhören.
»Vielleicht war es ihr einfach zu teuer. Der Flug kostet...«
»Das ist es nicht. Das Geld hätte sie gehabt. Durch den Verkauf von unserem Haus zum Beispiel.«
»Das, das ich kenne?«
Er nickte. »Durch die Scheidung stand ihr die Hälfte von allem zu. Am Geld liegt es also nicht...«
Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Es war nur allzu verständlich, dass er verletzt war.
»Sicher gibt es einen guten Grund, warum sie nicht gekommen ist.«, gab ich zu bedenken und ließ dabei meinen Blick durch die Stämme der Pinien in den Himmel wandern.
»Den gibt es...«, bestätigte er,
Weitere Kostenlose Bücher