Der Herzog und seine geliebte Feindin
ihre Attacke waren.
„Haben wir schon diesen Punkt erreicht?“, fragte er sie. „Plane genau. Du must immer den vor dir liegenden Weg genau kennen.“
Sie starrte auf das Brett, kniff die Augen zusammen … und dann hatte sie es zum ersten Mal gesehen. Sie konnte ihn zwingen, die schützenden Bauern abzuziehen. Sie würden von Dame und Springer genommen werden, bis ihr Turm kam und den König gegen ihren unbeirrbaren Läufer drängen würde.
„Ja“, hatte sie verwundert geantwortet. „Wir sind da.“
„Dann, wenn du deine Figur hochnimmst zu deinem nächsten Zug, gib ihr einen Kuss. Genau so, Liebes.“
Sie griff nach ihrem Läufer. In ihrer Erinnerung war die Figur größer, ihre Hände pummelig. Damals konnte sie nicht älter als sechs gewesen sein.
„Warum?“, hatte sie gefragt.
„Das ist eine alte Familientradition der Lanes.“ Ihr Vater lächelte. „Wenn du den einen in die Ecke gedrängt hast, gibst du ihm einen Kuss, und niemand ist gekränkt.“
Danach, wann immer sie spielten – wenn einer von ihnen dicht vor dem Schachmatt stand – hatte er gelacht und gesagt, ein Kuss sei nicht weit entfernt. Sie wollte sich so an ihren Vater erinnern – herzlich, lächelnd, während er ihr alles beibrachte, was er wusste. Wie er lachend erklärte, sie sei der Mittelpunkt seines Lebens. Sie musste sich so an ihren Vater erinnern, weil die Alternative bedeutete, dass sie sich an ihn erinnerte, wie er am Ende gewesen war.
Aufsehen? Ihr Vater hatte ihr nicht nur gesagt, sie solle nach oben sehen. Er hatte ihr das Fliegen beigebracht. Und dann, als sie ganz oben auf der Welt angekommen war, hatte er sie vom Himmel herabgerissen.
Kapitel Acht
L ETZTLICH BRAUCHTE R OBERT T AGE, S EBASTIAN NACH L EICESTER ZU HOLEN – größtenteils lag das an Violet, der kürzlich verwitweten Countess of Cambury, die darauf bestand, mitzukommen.
„Erstens“, hatte Violet gesagt und Robert mit einem Blick fixiert, „bin ich es leid, auf einem Anwesen in Cambridgeshire zu hocken, ohne irgendetwas zu tun zu haben. Zweitens wirst du jemanden brauchen, der Sebastian an der kurzen Leine hält.“ Sie hatte dabei zu Sebastian genickt, der sich seinerseits bemühte, unschuldig auszusehen.
Das war nicht ganz von der Hand zu weisen. Violet konnte Sebastian dazu bringen, sich zu benehmen – innerhalb bestimmter Grenzen – wenn sie es wollte. Violet war zwei Jahre älter als Robert und Sebastian. Sie war auf dem Landsitz aufgewachsen, der an Sebastians grenzte, und bis sie als für zu alt befunden wurde, um weiter mit Jungs zu spielen, waren sie während der Sommer unzertrennlich gewesen.
Aber Robert hatte wesentlich mehr Erinnerungen daran, wie Violet Sebastian zu allerlei Unfug angestiftet hatte, auf Bäume zu klettern, um Falkeneier zu stehlen, als daran, dass sie ihn dazu gebracht hatte, dass er sich zusammenriss und benahm.
„Und letztens“, führte Violet weiter aus, „mag deine Mutter mich, und wenn wir sie ablenken wollen, wird ein zweigleisiges Vorgehen am besten funktionieren. Sebastian kann sie vertreiben, und ich werde sie von dir fortlocken.“
Aber es war Sebastian gewesen, der letztlich den Ausschlag gegeben hatte, nachdem Violet sich am ersten Abend zurückgezogen hatte. „Sieh mal“, hatte er zu Robert gesagt, „sie ist in Trauer um einen Mann, den sie gehasst hat. Gib ihr eine Chance, dem zu entkommen.“
Daher hatte Robert nachgegeben – und es sich damit selbst zuzuschreiben, dass seine Reisegesellschaft um ein ganzes Gefolge aus Dienstboten, Zofen und Garderobieren angewachsen war. Boten mussten vorausgeschickt werden, um Zimmer in einem Hotel zu besorgen, da Violet nicht in Roberts Junggesellenhaushalt wohnen konnte. Es vergingen mehr als achtundvierzig Stunden, bevor Robert mit seinem Cousin, der Countess of Cambury, neun verschiedenen Dienstboten, zwei Katzen und einer Eule auf dem Bahnsteig am Euston Square in London stand.
Die Bediensteten waren damit beschäftigt, das Gepäck in das richtige Abteil zu befördern, und Robert nutzte die Gelegenheit, sich mit seinem Cousin die Beine zu vertreten. Es wehte ein leichter Wind, genug, dass die Luft auf dem Bahnhof frisch und angenehm war. Der Geruch brennenden Tabaks – das war Roberts Ausrede, warum er nicht im Wartesaal bei Violet geblieben war – bildete einen scharfen Kontrast zu dem Geruch nach Herbstlaub.
Er ging neben seinem Cousin, und all seine mannigfaltigen Sorgen schienen zu schrumpfen.
„Also“, sagte er zu Sebastian,
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