Der Herzog und seine geliebte Feindin
vorsichtig“, verlangte Caro. „Ich habe von solchen Fällen in der Zeitung gelesen – hinterlistige Puffmütter, die Anzeigen für anständige Stellen mit gutem Gehalt schalten, nur um dann …“
„Ich will keine Stellung annehmen“, erklärte Minnie. „Ihr habt recht. Ich kann es mir nicht leisten, nach oben zu schauen oder zu träumen. Das darf ich nicht wagen. Alles, was ich tun kann, ist, den nächsten Schritt vorwärts zu machen.“
Caro runzelte die Stirn. „Und der nächste Schritt ist … London?“
„Der nächste Schritt vorwärts“, sagte sie, „ist, das Spiel zu gewinnen, das ich spiele. Und das heißt, dass ich mit ein paar Papierverkäufern reden muss. In drei Tage bin ich wieder zurück.“
Ihre Großtanten wechselten Blicke – misstrauische Blicke, die ihr in der Seele wehtaten. Aber sie konnte es ihnen nicht erklären und sie konnte nicht aufgeben. Und während es nicht ohne hochgezogene Brauen akzeptiert wurde, wenn eine junge Frau in ihrem Alter allein mit dem Zug reiste, so war sie doch keine Debütantin, die für jede wache Stunde ihres Tages Rechenschaft ablegen musste.
„Nun“, sagte Caro schließlich. „Wenn das das ist, was du glaubst, tun zu müssen. Hast du … die Mittel dafür?“
„Ja.“
Sie hatte ihr Eiergeld. Wobei sogar das nicht der richtige Name war. Als sie ihre Volljährigkeit erreicht hatte, hatten ihre Großtanten ihr die Verantwortung für die Hühner abgetreten – und ihr alle Einnahmen überlassen, die sie damit erzielte. Ein Geschenk, denn sie hätten es auch behalten können. Aber es war nicht nur ein Geldgeschenk gewesen, sondern auch ein Geschenk der Unabhängigkeit – und zwar eines, das sie sich eigentlich nicht leisten konnten.
Sie ließen Minnie in ihr Zimmer zurückkehren, damit sie ihre Sachen für die Reise richtete. Aber statt zu packen, wurde sie unwiderstehlich von dem Schachbrett angezogen, das die ganze Zeit unbenutzt und unbeachtet in ihrer Truhe gelegen hatte. Zwölf Jahre, seit sie es das letzte Mal angesehen hatte, und sie näherte sich ihm dennoch mit einer Art grimmigem Argwohn. Sie kniete sich vor die Holztruhe, schlug den Stoff zurück, mit dem sie zugedeckt war, und öffnete die Verschlüsse. Das Eisen ließ sich nicht bewegen; sie musste mit der Hand darauf schlagen und fest drücken.
Das Schachbrett war ganz unten, versteckt unter alter Kleidung und vergilbten Zeitungsausschnitten. Da. Die Figuren waren aus Elfenbein und Ebenholz, waren ihr seltsam vertraut und gleichzeitig merkwürdig fremd. Ihre ersten Erinnerungen hingen mit diesem Schachbrett zusammen – wie sie Spielfiguren angehoben hatte, die schwer und groß schienen. Jetzt konnte sie ihre Hände komplett um sie schließen, sodass sie nicht mehr zu sehen waren.
Sie nahm das Brett heraus und holte die Spielfiguren aus dem Samtbeutel. Sie stellte sie auf ihren Schreibtisch. Selbst nach so vielen Jahren ohne Spiel musste sie nicht nachdenken, wo welche Figur hingehörte. Die Dame, der König und Türme, Springer, Läufer und die Bauern … alles ging wie von selbst. Wenn sie eine Figur im Schachspiel wäre, würde sie … Nein, noch nicht einmal ein Bauer. Sie war selbst dafür zu klein und unbedeutend.
Die Spielfiguren aufzubauen hatte sie belebt, ihre Stimmung aufgehellt. Der Beginn eines jeden Spieles war so voller Möglichkeiten. Alles konnte geschehen. Jede Entscheidung war offen. Heute fühlte sie gar nichts. Sie starrte auf die Figuren und erkannte, dass sie nicht am Beginn des Spieles stand, sondern fast am Ende. Jetzt waren Bereiche des Spielfeldes für sie unerreichbar, Figuren, die ihr genommen worden waren, Züge, die sie nie machen konnte.
Auf ihrem Spielfeld blieben ihr fast keine Möglichkeiten mehr. Dennoch holte sie ihre Brille hervor, setzte sie sich auf und betrachtete es.
„Es gibt da einen Punkt in fast jedem Spiel“, hatte er ihr Vater ihr einmal gesagt, „an dem der Gewinn unausweichlich ist. Wenn jeder Zug von dir deinen Gegner zur Reaktion zwingt, dann kann er sich durch das, was er tut, sein eigenes Grab schaufeln.“
Wie seltsam. Sie konnte sich nicht länger erinnern, wie er ausgesehen hatte, aber sie konnte das Spielfeld in allen Einzelheiten vor sich sehen, wie es in dem Augenblick vor ihr gestanden hatte. Sie schob die Figuren weg, sodass nur noch die da blieben, die damals noch dagewesen waren. Ihr Läufer und ihr Springer, die seinen Turm festhielten. Ihre Dame gegen zwei Bauern, die seine einzige schwache Verteidigung gegen
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