Der heulende Müller
um mit ihr über Pflanzprobleme zu sprechen? Er fand, er habe guten Grund zu einem Besuch. Er hatte die Samen bereits vor sechs Tagen ausgesät, und bisher hatte sich nicht das geringste geregt. Er könnte also nachfragen, ob die Samen vielleicht vom Vorjahr seien. Notfalls könnte er neuen, besseren Samen fordern. Er kam zu dem Schluß, daß er ein ausreichendes, nahezu offizielles Anliegen habe. Niemand dürfte etwas dabei finden, wenn er der Beraterin jetzt einen Besuch abstattete.
Huttunen trank eine halbe Kelle kaltes Wasser und fuhr mit dem Fahrrad zu Siponens Gehöft.
Das Dorf wirkte merkwürdig verlassen: auf den Wei-den lief kein Vieh herum, niemand arbeitete auf den Feldern. Nur die Vögel sangen, geweckt vom frühen Sommermorgen, und schläfrige Hunde bellten träge, als Huttunen an den Gehöften vorbeifuhr. Kein Rauch stieg aus den Schornsteinen, die Menschen schliefen noch.
Siponens Hund machte ziemlichen Lärm, als Huttu nen auf den Hof kam. Die Haustür war nicht zugehakt, der Müller trat in die Wohnstube, wo die Gardinen gezogen waren und tiefe Stille herrschte.
»‘n Tag.«
Als erster erwachte der Knecht Launola, der von sei ner Pritsche hinter dem Ofen schläfrig-verwundert den Gruß erwiderte. In der Tür der Schlafkammer erschien gähnend der Hausherr, der entfernt an einen Elefanten erinnerte; er war klein, alt und kurzsichtig. Er trat dicht an Huttunen heran, schaute hoch, erkannte den Gast und bot ihm Platz an. Hinter ihrem Mann zwängte sich die Bäuerin durch die Tür, eine kurze und furchtbar dicke Frau; sie war so dick, daß ihre Beine nicht in die Stiefelschäfte paßten. Ihre Kuhstallstiefel mußten immer bis zur halben Schafthöhe aufgeschlitzt werden. Sie sagte guten Morgen, sah auf die Wanduhr und fragte:
»Ist in der Mühle wieder was passiert, daß du mitten in der Nacht unterwegs bist, Kunnari?«
Huttunen saß am Tisch, zündete sich eine Zigarette an und hielt auch Siponen, der in seine Hose stieg, die Schachtel hin.
»Alles in Ordnung, danke der Nachfrage. Ich komme nur mal eben vorbei, bin lange nicht auf Besuch gewe sen.«
Der Hausherr saß Huttunen gegenüber und rauchte seine Zigarette durch eine Spitze. Er sah dem Müller aus geringer Entfernung in die Augen und sagte nichts. Launola trat vors Haus und verschwand um die Ecke. Dann kam er wieder herein, und als ihn niemand an sprach, legte er sich auf seine Pritsche, drehte den Anwesenden den Rücken zu und begann bald zu schnarchen.
»Ist die Klubberaterin zu Hause?« fragte Huttunen schließlich.
»Die wird wohl oben schlafen«, meinte der Bauer und zeigte in die Richtung der Treppe.
Huttunen drückte seine Zigarette aus und stieg zur Mansarde hoch. Der Bauer und die Bäuerin sahen einander an und blieben verblüfft sitzen. Sie hörten die schweren Schritte des Müllers auf der Treppe und dann ein mächtiges Dröhnen, als er sich oben den Kopf am Deckenbalken stieß. Kurz darauf ertönte ein Klopfen, eine Frauenstimme antwortete, und dann wurde die Tür geöffnet und wieder geschlossen. Die Bäuerin zwängte sich in den Treppenaufgang, um zu horchen, was oben gesprochen wurde, doch die Entfernung war zu groß. Ihr Mann zischte ihr ins Ohr:
»Geh ein Stück rauf, dann hörst du besser, aber sieh zu, daß die Treppe nicht knarrt. Na los, mach schon und berichte mir dann. Paß doch auf! Herrgott, dieses Weib ist so dick, daß das ganze Haus unter ihr schwankt.«
Die verschlafene und verwirrte Klubberaterin empfing Huttunen im Nachthemd. Er stand gebückt in dem kleinen Zimmer mit schrägem Dach, hielt in der einen Hand seine Mütze und streckte die andere der Beraterin zur Begrüßung hin.
»Guten Morgen, Fräulein Klubberaterin… Entschuldi gen Sie, daß ich um diese Zeit komme, aber ich dachte mir, da treffe ich Sie wenigstens zu Hause an. Wie ich hörte, sind Sie von morgens bis abends im ganzen Sprengel zur Beratung unterwegs.«
»Ja, natürlich. Wie spät ist es denn? Noch nicht ein mal fünf.«
»Hoffentlich habe ich Sie nicht geweckt«, meinte Huttunen erschrocken.
»Macht nichts… Setzen Sie sich doch, damit Sie nicht so gebückt stehen müssen. Die Decke ist sehr niedrig. Die höheren und größeren Zimmer sind teuer.«
»Es ist ein schönes Zimmer… Unsereiner hat drüben in der Mühle nicht mal Gardinen. Ich meine natürlich in der Stube…. in der Mühle vermißt man sie ja nicht unbedingt.«
Huttunen setzte sich auf einen kleinen Hocker neben dem Herd. Er wollte seine Zigaretten
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