Der heulende Müller
Bauer. Der Müller freute sich, daß sein Nachbar überständiges Korn zum Mahlen brachte, legte Holz unter dem Kessel nach und half Viittavaara, das Pferd am Balken festzuma chen.
»Aha, du willst hier malern«, meinte Viittavaara, wäh rend sie gemeinsam die Säcke in die Mühle trugen. »Ich hab’ am Friedhofstor gelesen, daß die Mühle wieder in Ordnung ist, und bringe jetzt diesen Rest Gerste… Man muß die Mühle des eigenen Dorfes nutzen, damit das teure Flußwasser nicht faul und nutzlos an der Mühle vorbeifließt.«
Huttunen setzte die Anlage in Gang, öffnete den er sten Sack und ließ den Inhalt in den Trichter rinnen. Bald war die Mühle erfüllt vom Duft frischen Gersten mehls. Die Männer gingen auf den Hof, Huttunen bot Viittavaara eine Zigarette an. Er dachte bei sich, sein Nachbar sei letzten Endes ein patenter Kerl und von ganz anderem Format als Siponen und seine stinkfaule Alte.
»Du hast einen guten Wallach«, sagte Huttunen herz lich, um zu zeigen, daß der Mann ihm sympathisch war.
»Ist schlecht kastriert, aber sonst nicht übel.« Dann räusperte sich Bauer Viittavaara. Huttunen
schloß daraus, daß der Nachbar noch ein anderes Anlie gen hatte als das Mahlen des überständigen Korns. Hatte Siponen ihn geschickt? Oder der Kaufmann Tervo la, oder der Lehrer?
»Mal unter Männern… unter guten Nachbarn: Ich möchte dich ein bißchen warnen, Kunnari. Du bist in jeder Hinsicht ein feiner Kerl, ganz einwandfrei… aller dings hast du einen Fehler. Wir haben im Sozialaus schuß über die Sache gesprochen, ich bin nämlich der Vorsitzende.«
Huttunen drückte seine Zigarette aus und zertrat die Kippe auf der Erde. Worauf wollte Viittavaara hinaus? Der Müller war auf der Hut.
»Wie soll ich es jetzt sagen… Zahlreiche Einwohner der Gemeinde beklagen sich über dich. Sie wollen, daß du aufhörst mit dem Geheul und den anderen Faxen. Es sind eine Menge Beschwerden vor den Ausschuß ge kommen.«
Huttunen sah den Nachbarn böse an. »Sag doch offen, was über mich getratscht wird.« »Ich habe es ja schon gesagt. Das Geheul muß jetzt
ein für allemal aufhören. Es schickt sich nicht, daß ein erwachsener Mann mit den Hunden um die Wette jault. Letzten Winter und auch jetzt im Frühjahr hast du das Dorf viele Nächte lang wach gehalten. Meine Frau hat deinetwegen das ganze Frühjahr nicht richtig geschla fen, und die Kinder lernen schlecht in der Schule. Unser Mädel mußte zur Nachprüfung. Das kommt bloß davon, daß sie die Nächte durchwacht und den ganzen Sommer über in der Mühle sitzt und deinen Theatervorstellungen zusieht.«
Huttunen verteidigte sich:
»Ich hab’ dieses Frühjahr nicht soviel geheult wie sonst, nur ein paarmal hab’ ich mich gehenlassen.«
»Du beschimpfst die Leute, verspottest sie, hältst sie zum Narren. Auch Tanhumäki, der Lehrer, spricht schon davon. Du spielst alle möglichen Viecher, und damit nicht genug, nein, du mußt auch noch Spreng stoff in den Fluß schmeißen.«
»Das war bloß Spaß.«
Viittavaara war in Fahrt gekommen. Seine Stirnadern schwollen, während er Huttunen zurechtwies:
»Du wagst dich noch zu verteidigen, verdammt noch mal! Habe ich nicht Tausende von Nächten auf der Bettkante gesessen und zugehört, wie du hier in der Mühle jaulst? Paß auf, so, kommt es dir bekannt vor?«
Viittavaara fing in seiner Erregung an zu heulen, hob die Arme und wandte das Gesicht zum Himmel. Aus seiner Kehle drang so lautes, durchdringendes Geschrei, daß sein Pferd erschrak.
»Auf diese Weise hast du den ganzen Sprengel in Angst und Schrecken versetzt. Irrer Kerl! Und dann all das andere Theater! Mal bist du ein Bär, mal ein Elch, mal eine verdammte Schlange und dann wieder ein
Kranich. Sieh dir mal spaßeshalber an, wie das wirkt, sieh genau hin! Macht ein anständiger Mensch so was?«
Viittavaara trottete über den Hof, als sei er ein Bär, er brummte und fuchtelte mit den Armen, kroch zwischen durch auf allen vieren und brüllte dermaßen, daß der Wallach an der Trense riß.
»Das war ein Bär, kam er dir bekannt vor? Und dann das hier, so was hast du auch viele Male gemacht!«
Viittavaara trabte um den Ockerkessel, schnaubte und prustete wie ein Ren, schüttelte den Kopf, scharrte am Boden, beugte sich über das Gras und tat, als fräße er Flechten. Dann hörte er damit auf und spielte einen Lemming: er spitzte den Mund, setzte sich auf die Hin terbeine, fauchte Huttunen an und flitzte unter dem Wagen
Weitere Kostenlose Bücher