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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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des Ladens wieder auf den Pfad zurück. Er mußte daran denken, daß Kaufmann Tervola gerade über diese Lei-tung die Behörden gegen ihn alarmiert hatte.
    »Verfluchte Masten.«
    Er sah die Telefonmasten wütend an. Durch das Sir­ ren der Drähte glaubte er die einschmeichelnde Stimme des Kaufmanns zu hören, wie er beim Großhändler in Kemi Waren bestellte: Fleisch, Wurst, Käse, Kaffee, Zigaretten. Ein schwindelerregendes Hungergefühl packte Huttunen. Er blieb am Fuß eines Mastes stehen und setzte versuchsweise die Axt an das Holz, als wollte er den Platz für den Schlag wählen.
    »Wenn ich den hier kappe, bimmelt bei Tervola kein Telefon mehr.«
    Die Axt befand sich in so einladender Position, daß Huttunen nicht anders konnte, als zuzuschlagen. Über eine Länge von zwei Kilometern flatterten die Vögel von den Drähten auf. Huttunen schlug wieder und wieder
    zu, die Drähte pfiffen, die ganze Leitung dröhnte. Bald begann der dicke Mast zu schwanken, und nach ein paar weiteren Schlägen krachte es. Der Mast stürzte um, die Isolatoren zerbrachen, und die Drähte flogen jaulend in den Wald. Huttunen wischte sich den Schweiß von der Stirn und betrachtete das Ergebnis seiner Anstrengungen.
    »Jetzt ist beim Kaufmann das Telefon vorübergehend gestört.«
    Huttunen war nicht der Mann, der eine Arbeit unvoll­ endet ließ. Er zerhackte den Mast noch zu Balken von jeweils zwei Meter Länge und stapelte sie auf. Dann rollte er die Drähte zusammen und legte das Knäuel obendrauf. Wenn später die Fernmeldemonteure kamen, um die Leitung zu reparieren, war die halbe Arbeit be­ reits getan; sie brauchten nur die Balken aufzuladen und einen neuen Mast zu setzen.
    Jetzt, da er das Telefon des Kaufmanns zum Schwei­ gen gebracht hatte, konnte er gleich noch dem Laden einen Besuch abstatten. Vielleicht würde ihm Tervola Lebensmittel verkaufen, zumal er durch eine glückliche Fügung die Axt dabeihatte.
    Der Laden war ziemlich gut besucht. Das ruhige Stimmengemurmel brach ab und wich entsetztem Schweigen, als Huttunen mit der Axt zur Tür herein­ kam. Mehrere Kunden wollten sich davonmachen, ob­ wohl sie noch nichts gekauft hatten.
    Kaufmann Tervola rannte in seine Privaträume. Man hörte ihn eilig die Wählscheibe drehen und nach dem Amt rufen. Aber die Leitung war unterbrochen. Weder der Wachtmeister noch der Kommissar waren zu errei­ chen. Tervola kam erschrocken wieder nach vorn.
    Huttunen legte die Axt auf den Ladentisch und zählte die Waren auf, die er zu kaufen beabsichtigte:
    »Zigaretten, ein paar Fleischkonserven, ein Kilo Salz, Wurst, Brot.«
    Der Kaufmann gab die Waren bereitwillig heraus. Als er die Wurst abwog, legte Huttunen zum Scherz die Axt zu den Gewichten auf die Waage und meinte:
    »Sieh mal, Kaufmann, wie leicht die ist.« Für Huttunens Einkauf wog die Axt so viel, daß Ter­
    vola die Rechnung tüchtig nach unten abrundete, und als Huttunen sich schon zum Gehen wandte, fragte er, ob es sonst noch etwas sein dürfe.
    An der Tür sagte der Müller zum Abschied: »Danke, das war alles.«
    Aus dem Schutz des Waldes heraus beobachtete Hut­ tunen, wie die Leute in großer Eile den Laden verließen. Sie rannten, so schnell sie konnten, zum Haus von Wachtmeister Portimo. Huttunen hätte gern von seiner Wurst gegessen, doch jetzt empfahl es sich, schnell ins Lager zurückzukehren. Zum Essen war später Zeit.
    21
    Den ganzen Tag klangen von fern Hundegebell und laute Männerstimmen in Huttunens Lager herüber. Das Dorf war in Alarmzustand wegen seines aus der Nervenklinik entflohenen Müllers. Um sich einen besseren Überblick über den Verlauf der Ereignisse zu verschaffen, kletterte Huttunen auf seinem Hügel auf eine uralte Kiefer, einen riesigen Baum. Er mußte zweimal hinauf, denn beim ersten Mal vergaß er sein Fernglas, und mit bloßem Auge konnte er nicht erkennen, was im Dorf passierte.
    Durch das Okular seines einlinsigen Fernglases sah er, daß auf den Dorfstraßen lebhafter Verkehr herrschte. Hunde liefen frei herum, und Männer fuhren mit Fahr­ rädern hin und her. An den Wegkreuzungen standen Bauern mit geschulterten Flinten. Viele waren vermut­ lich auch in den Wäldern unterwegs, doch das konnte Huttunen von seiner Kiefer aus nicht sehen.
    Er kletterte wieder hinunter. Er löschte das Lagerfeu­ er und packte für alle Fälle seinen Rucksack. Die Klub­ beraterin hatte versprochen, nachts auf die Erleninsel zu kommen, um ihn zu treffen. Wenn der Aufruhr im Dorf anhielt, war zu

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