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Der heulende Müller

Titel: Der heulende Müller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Er blickte zum Garten hinaus, weil er auf die Idee kam, sich ein paar Rüben mitzunehmen, die bereits eine eßbare Größe erreicht hatten.
    Am Rand der Parzelle stand eine Gruppe Menschen. Etwa ein Dutzend Männer aus dem Dorf bildeten einen Kreis um den Kommissar. Huttunen erriet, daß man nun gekommen war, um ihn zu holen. Blitzschnell rannte er zur Treppe. Der Eimer stieß scheppernd gegen den Türrahmen. Huttunen befürchtete, daß das Ge­ räusch draußen zu hören sei. Er öffnete die Luke zur Turbinenkabine und zwängte sich mit dem Eimer im Arm hinein. Im selben Augenblick wurde die Tür aufge­ rissen, und die Männer traten in die Mühle. Huttunen erkannte die Stimme von Wachtmeister Portimo, der eben erklärte:
    »Gestern war jedenfalls keiner hier. Kann sein, daß er sich im Wald versteckt hält.«
    Die Männer trampelten genau über Huttunen hinweg, die Luke knarrte unter ihren Schritten. Mehlrückstände rieselten durch die Bretterritzen. Der Müller saß in unbequemer Stellung in der engen Kabine und hoffte, daß niemand auf die Idee käme, die Mühle in Gang zu setzen; dann wäre er verloren: in dieser Enge würden ihn die Schaufeln der Turbine zerquetschen. Durch die zum Oberlauf gelegene Wand tropfte ihm Wasser in den Nacken, anscheinend floß ein wenig durch die Rinne. Er ertappte sich bei dem Gedanken, daß er sie im Herbst würde abdichten müssen.
    An den Stimmen erkannte er Viittavaara, Siponen, den Kaufmann Tervola, den Wachtmeister und den Kommissar. Es waren auch noch ein paar andere Män­ ner dabei, vielleicht der Lehrer und Siponens Knecht Launola. Viittavaaras Stimme ertönte:
    »Er ist aber hiergewesen. Seht mal, wie sorgfältig er den Mehlstaub aufgefegt hat.«
    Die Männer stiegen die Treppe hoch. Man rief nach Huttunen. Der Kommissar brüllte, Huttunen brauche gar nicht erst Widerstand zu leisten:
    »Ganz ruhig rauskommen, wir sind in der Über­ macht!«
    Bald stellten die Männer fest, daß die Mühlenstube leer war. Enttäuscht kehrten sie um. Viittavaara äußer­ te:
    »Immerhin hat er noch die Mühle in Ordnung ge­ bracht, bevor er verrückt wurde.«
    Die Männer gingen hinaus, nur Viittavaara blieb noch zurück. Nach den Geräuschen zu urteilen, legte er den Treibriemen auf. Huttunen konnte hören, wie das Lager des Obersteins knackte. Viittavaara rief den anderen zu:
    »Wollen wir zur Probe die Mühle anschmeißen? Kann ja sein, daß sie zum Herbst an die Kommune fällt. Dann wissen wir Bescheid und können selber unser eigenes Korn mahlen.«
    Huttunen erstarrte. Wenn Viittavaara Ernst machte, würde er hier unten zerquetscht. Die Mühle in Gang zu setzen war einfach: man brauchte nur die Schütze zur Schindelmaschine zu schließen, und sofort würde das
    durchs Wehr schießende Wasser in die Turbinenkabine gelenkt und ließe die Turbine rotieren. Zuerst wäre das Quietschen eines Zinkeimers zu hören und dann das Knirschen von Knochen.
    Mit aller Kraft klammerte sich Huttunen an die Tur­ binenschaufeln und klemmte sich dabei den Eimer so vor die Brust, daß er zusammengedrückt wurde. Falls sich die Turbine tatsächlich zu drehen begann, wollte er sich dagegenstemmen, sosehr er nur konnte. In Gedan­ ken rechnete er, wieviel PS die Turbine beim derzeitigen sommerlichen Wasserstand entwickeln würde. Er brauchte jetzt furchtbar viel Kraft, wenn er am Leben bleiben wollte.
    Draußen hörte er den Kommissar rufen, jetzt sei kei­ ne Zeit, die Mühle des Irren in Gang zu setzen. Inzwi­ schen war trotzdem jemand zur Schütze vor der Schin­ delmaschine gegangen, und aus dem Wasserrauschen konnte Huttunen schließen, daß sie gerade geschlossen wurde. Die ersten Spritzer schwappten in die Turbinen­ kabine und durchnäßten ihn von oben bis unten. Hut­ tunen stemmte sich mit aller Kraft gegen die Schaufeln. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er dachte bei sich, er werde dem Wasserrad seinen ganzen Widerstand entge­ gensetzen. Es ging um sein Leben.
    Bald flutete das Wasser aus der Rinne mit voller Wucht herein. Huttunen war nahe daran, in dem rau­ schenden Strom zu ertrinken, er keuchte und klammer­ te sich fest. Die Wassermassen drückten mit aller Ge-walt auf das Rad, aber Huttunen hielt durch und ver­ hinderte die kleinste Drehbewegung. Bittere Galle stieg ihm in den Mund, ihm war, als würden die Adern im Kopf platzen. Aber er gab nicht nach. Würde er jetzt vor dem Wasser weichen, käme das der Selbstaufgabe gleich.
    »Die dreht sich nicht«, rief Viittavaara von drinnen.

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