Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
hielt in ihrer Arbeit inne, stemmte die Arme in die breiten Hüften und fragte: »Mörder? Davon weiß ich nichts.« Sie schüttelte den Kopf und rief empört: »In welchen Ort hat es mich verschlagen? Das letzte Mal, als wir uns beim Waschen getroffen haben, habt ihr mir von einem Wechselbalg und dem Hexenschwur erzählt. Jetzt höre ich eine Geschichte von einem Mörder.«
Als die Worte »Wechselbalg« und »Hexenschwur« fielen, sogen die drei anderen Frauen erschrocken die Luft durch die Zähne und blickten erschrocken zu Karoline hinüber. Tine, die sich keinen Reim darauf machen konnte, folgte ihren Blicken und verstand plötzlich.
Karoline hatte die Worte ebenfalls vernommen, und es traf sie wie ein Keulenschlag. Schnaubend kam sie aus der Hocke hoch und schaute die Wäscherinnen zornig an. Einen Augenblick lang war sie versucht, Josefine zur Rede zu stellen, denn sie wusste, dass das Geschwätz nur von der Alten stammen konnte. Doch dann ließ sie die Schultern sinken. Sie ist es nicht wert, dachte Karoline und widmete sich wieder ihrer Wäsche.
Josefine ahnte, dass die Bäuerin wusste, wer für das Gerede verantwortlich war. Da sie befürchtete, Karoline würde auf sie losgehen, verschränkte sie abwehrend die Arme vor ihrer Brust. Aber dann sah sie, wie die Bäuerin sich wieder ihrer Wäsche zuwandte, und sie entspannte sich.
Die alte Grete spürte in Karolines Nähe Furcht hochsteigen, die sich mit Mitleid vermischte. Sie kannte die Bonner’sche Tochter seit ihrer Geburt, hatte sie als Mädchen heranwachsen sehen und war – wie alle anderen damals im Dorf – Zeugin der Tragödie der Familie Bonner geworden. Sie erinnerte sich, dass Karolines Bruder einer Hexe verfallen und mit ihr geflohen war. Grete entsann sich auch des Selbstmords der Mutter, die sich angeblich aus Scham wegen des Sohns in der Schlafstube erhängt hatte. Beide Ereignisse waren monatelang Gespräch in Hundeshagen gewesen. Der alte Casper Bonner, den die Sorge nicht zur Ruhe kommen ließ, war seinem Sohn hinterhergeeilt, um ihn aus den Fängen der Hexe zu retten. Aber er ward seit jenem Tag nicht mehr gesehen. Von da an musste das damals fünfzehnjährige Mädchen Karoline allein für sich sorgen und den Hof bewirtschaften. Grete wusste, dass Karoline ihre Arbeit verstand, doch sie mochte sie nicht. Schon als junges Mädchen war Karoline selbstgefällig, vorlaut und befehlerisch gewesen. Überheblich hatte sie alle Verehrer abgewiesen, bis Jodokus aus Mingerode aufgetaucht war. Grete musste zugeben, dass Karoline sich einen stolzen Mann ausgesucht hatte. Was hat er dir gebracht? Du hättest besser einen aus der Umgebung heiraten sollen, dachte die Grauhaarige und verzog spöttisch den Mund. Niemand will mit dir reden, und jeder fürchtet sich vor dem Hexenschwur, den die alte Hebamme gegen dich geschleudert hat. Grete dachte mit Ekel an das Wesen in Karolines Keller, den Wechselbalg. »Manchmal kommt Hochmut vor dem Fall«, flüsterte die Alte hämisch und warf ein Wäschestück ins Wasser.
Helene blickte mitleidig zu Karoline hinüber, die auf dem Boden kniete und eine Hose mit der Bürste bearbeitete. Wie traurig muss ihr Leben sein, überlegte die junge Frau. Ständig wird hinter ihrem Rücken über sie getratscht und hinter vorgehaltener Hand gelacht. Ich würde zugrunde gehen, wäre ich an ihrer Stelle, dachte sie, als Josefine ihr zurief: »Deine Wäsche wird nicht von allein sauber.«
Eine unangenehme Stille lag über dem Bach. Schließlich brach Tine, die es vermied, zu der fremden Bäuerin hinzuschauen, das Schweigen der Frauen und bat: »Erzählt mir von dem angeblichen Mörder, der den Kelch gestiftet haben soll!«
»Angeblicher Mörder?«, fragte Josefine entrüstet. »Klaus Elgen, den man auch Busse genannt hat, erschlug vor fast vierzig Jahren den armen Zacharias Naumeyer. Stimmt doch, Grete, oder? Du musst dich daran erinnern können.«
Die grauhaarige Grete nickte. »Ich war das erste Mal schwanger, als dieser Mord geschah. Es wurde damals viel Aufhebens um den Fall gemacht, da der Totschlag auf Westernhagen’schem Gebiet verübt wurde und der Täter ein Westernhagen’scher Untertan war. Deshalb sollte der Fall auch in ihrem Ort Berlingerode verhandelt werden. Die Herren von Wintzingerode forderten hingegen, die Klage solle in Worbis ausgetragen werden, da der Erschlagene einer ihrer Untertanen war. Es ging hin und her, und schließlich musste der Mörder vierzig Taler Wergeld an den Bruder des Getöteten
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