Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
entdecken«, schlug Karoline vor.
Kaum standen sie versteckt hinter mehreren Bäumen, fragte sie gespannt: »Warum wolltest du mich hier treffen?«
Helene suchte nach Worten, aber als sie Karolines ungeduldigen Blick sah, sammelte sie sich und erzählte: »Ich habe meinem Bruder Hans, der in einem kleinen Ort bei Dresden Pastor ist, bei der Taufe meines kleinen Friedrich von eurem Schicksal berichtet.« Sie stockte und forschte in Karolines Blick, ob sie wütend wurde. Als Karoline keine Regung zeigte, fuhr sie fort: »Hans erzählte mir eine Geschichte, die ich dir nicht vorenthalten möchte, da sie dir vielleicht helfen kann.«
Karolines Blick verengte sich. »Wie kann mir eine Geschichte helfen?«, fragte sie.
»Höre erst und urteile dann«, entgegnete Helene und begann zu erzählen: »Der Reformator Martin Luther soll folgende Geschichte erzählt haben: In Halberstadt, das im Harz liegt, hatte ein Mann einen Wechselbalg, den man auch Kielkropf nannte. Der Balg war ein Nimmersatt, der die Frau des Mannes sowie fünf Ammen leergetrunken hat. Er konnte weder gehen noch sprechen. Die Leute rieten dem Mann, eine Wallfahrt nach Hockelstadt zu machen und dort zur Jungfrau Maria zu beten. Der Bauer befolgte den Rat und nahm das Wesen in einem Korb mit. Als er mit ihm eine Brücke passieren musste, soll ein Teufel unter Wasser den Wechselbalg ›Kielkropf, Kielkropf!‹ gerufen haben. Das Kind, das nie zuvor einen Laut von sich gegeben hatte, habe geantwortet: ›Ho, ho!‹ Der Teufel drunten im Wasser fragte: ›Wo willst du hin?‹, und der Balg antwortete: ›Ich will nach Hockelstadt zu Unserer Lieben Frau, damit ich gedeihe.‹ Als der Bauer das Wechselkind sprechen hörte, war er so erschrocken, dass er es mitsamt dem Korb ins Wasser warf. Nun riefen Teufel und Kind erfreut: ›Ho, ho. Jetzt können wir zusammen spielen‹, und sogleich verschwanden die beiden in der Tiefe.«
Karoline blickte Helene fassungslos an. »Was willst du mir mit dieser Geschichte sagen?«
»Vielleicht solltest auch du den Wechselbalg ins Wasser werfen, dann bist du ihn los.«
»Wenn ich ihn los sein wollte, müsste ich ihn nur erschlagen. Aber ich bekomme meinen Michael nur zurück, wenn ich dem Wechselbalg nicht schade.«
Helene nickte. »Ja, das denke ich auch.« Dann aber gab sie zu bedenken: »Wenn du ihn ins Wasser wirfst, wird er bei seinesgleichen sein. Dann tust du ein gutes Werk.«
Karoline schien nicht zuzuhören, stattdessen jammerte sie: »Warum können seine Eltern ihn nicht einfach holen?«
Helene berief sich erneut auf den Reformator: »Luther sagt, dass Wechselbälger nur ein Klumpen Fleisch ohne Seele seien, weshalb man für sie bei Tisch ein Vaterunser beten solle. Wenn das stimmt, dann sind seine Eltern ebenfalls nur Fleischklumpen, die sich wegen ihrer Seelenlosigkeit nicht zu dir trauen, um den Wechselbalg zu holen und dir deinen Sohn zurückzubringen.«
Als Karoline schwieg, sagte Helene leise: »Auch wenn du dein Kind nicht mehr zurückbekommen solltest, so gäbe es, wie mir mein Bruder sagte, die Möglichkeit, den Wechselbalg loszuwerden, ohne deinem Sohn zu schaden.«
Karoline wischte sich über die Augen und schaute Helene an. »Ich danke dir, dass du mir diese Geschichte erzählt hast.«
»Ich hoffe, ich konnte dir helfen«, flüsterte Helene und ging zurück, während Karoline blieb und über des Pastors Geschichte nachdachte.
• Kapitel 36 •
Magdalena und ihre Familie folgten Arne, der sie rasch mitten durch das Lager der Soldaten führte. Die Männer saßen an Feuerstellen, die überall um sie herum brannten und deren Flammen sich in ihren Augen spiegelten. Manche Soldaten vertrieben sich die Zeit mit Knobeln, während andere genüsslich ihre Pfeife rauchten. Einige unterhielten sich, und andere schliefen. Als sie jedoch Magdalena erblickten, ging ein Raunen durch das Lager der Männer, und viele warfen ihr verlangende Blicke zu oder versuchten sie zu sich zu locken. Ein Mann stellte sich dem Mädchen in den Weg, und sie musste stehen bleiben und senkte ängstlich den Blick. Johann wollte zurück zu seiner Tochter eilen, als Arne auf den Mann zuging, ihn bitterböse ansah und mit eisiger Stimme auf Schwedisch zu ihm sprach. Ohne Widerworte trat der Soldat zur Seite, und Magdalena konnte weitergehen.
Hinter dem Platz mit den Lagerfeuern begann die Zeltstadt, durch die Arne die Familie lotste, bis er vor einem Zelt stehen blieb. »Hier könnt ihr übernachten«, sagte er und schob die Plane
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