Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Einzige, was Clemens ihr sagte. Dann hatte er sich umgedreht und war in die Scheune gegangen, wo er bis tief in die Nacht Holz spaltete.
Burghard sah Katharinas unglückliche Miene und suchte unter dem Tisch nach ihrer Hand. Als er sie fand, drückte er sie zärtlich. Sanft erwiderte sie seinen Händedruck. Burghard schielte zu Clemens hinüber, der mit versteinerter Miene am Tischende saß.
Es fiel auch Burghard schwer, seinen Freund zu verletzen. Er wollte Clemens nicht verlieren, aber auch nicht auf Katharina verzichten. Mehrmals hatte er deshalb versucht mit Clemens zu reden. Doch dieser ging ihm immer aus dem Weg. Als sie sich zufällig im Stall trafen und Burghard Clemens am Ärmel festhalten wollte, schnauzte dieser ihn an: »Nimm deine Finger von mir!«
Burghard wollte nicht sogleich aufgeben und bat mit fester Stimme: »Lass uns miteinander reden!« Daraufhin verschränkte Clemens die Arme abwehrend vor der Brust und höhnte: »Über was sollen wir beide denn sprechen? Darüber, dass ein Mönch mir mein Mädchen ausgespannt hat? Oder darüber, dass du heilig tust, es aber faustdick hinter den Ohren hast?«
»Ich habe dir Katharina nicht weggenommen, Clemens!«, verteidigte sich Burghard. »Als ich ihr meine Gefühle gestand, wusste ich nicht, was du für sie empfindest.«
»Pah! Es ist seltsam, dass du ausgerechnet jetzt bemerkst, was du für Katharina empfindest, obwohl du vor kurzem noch ins Kloster zurückgehen wolltest! Warum verschwindest du nicht dorthin und lässt uns in Ruhe?«
»Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich meine Meinung geändert habe.«
»Verschwinde, du Judas!«, schleuderte Clemens Burghard daraufhin entgegen.
Seitdem würdigten sich beide keines Blickes mehr.
Schon seit Tagen verspürte Clemens kaum noch Appetit, und selbst der duftende Festtagsbraten konnte ihn nicht locken.
Katharinas Geständnis hatte von einem Augenblick zum anderen seine Hoffnungen und Wünsche zerstört, so dass dieser Heilige Abend für ihn der schlimmste seines Lebens war. Dass er Weihnachten nicht in Dingelstedt verbringen würde, bedrückte ihn ebenfalls. Mit Katharina an der Seite hätte dieses Weihnachtsfest für ihn erträglich werden können. So aber schmerzte es umso mehr, denn besonders in der Vorweihnachtszeit hatte Clemens häufig an sein Zuhause in Thüringen gedacht. Die Erinnerung an das letzte Weihnachtsfest mit seiner Familie vor drei Jahren, als seine Eltern, Anna und er glücklich zusammen gefeiert hatten, kam ihm in den Sinn. Clemens glaubte sogar, den Duft der Plätzchen zu erschnuppern, der schon einige Tage vor Heiligabend das ganze Haus durchzogen hatte. In Gedanken konnte er auch Annas Lachen hören. Er erinnerte sich an das besondere Geschenk, mit dem Anna ihn jedes Jahr überraschte. Clemens sah die glitzernden Augen und hochroten Wangen seiner Schwester vor sich, wenn sie es kaum erwarten konnte, sein Geschenk auszupacken. Das waren nur noch Erinnerungen an eine glückliche Zeit. Wer hätte gedacht, dass das Leben uns so strafen würde?, dachte er.
Clemens hätte Anna gerne eine Nachricht zukommen lassen, wohin er geflohen war. Aber die Angst, der Meuchelmörder könne auf diese Weise auf seine Spur stoßen, hinderte ihn daran. All diese Erinnerungen drückten auf sein Gemüt, und es gab niemanden, der ihn hätte trösten können.
Clemens starrte verdrossen auf die Tischplatte vor sich und spürte die Blicke der anderen auf sich ruhen. Nur zu gerne wäre er aufgestanden und in seiner Kammer verschwunden. Da es aber der Heilige Abend war, glaubte er sitzen bleiben zu müssen. Doch dann konnte er den Gedanken nicht mehr ertragen, gemeinsam mit Burghard und Katharina in einem Raum zu sein. Clemens wurde heiß und kalt, und er glaubte ersticken zu müssen. Doch in dem Augenblick, als er aufspringen und nach draußen flüchten wollte, öffnete sich die Tür, und Frau Rehmringer betrat die Küche.
»Hier scheint ja eine Trauerfeier stattzufinden«, sagte sie erstaunt und blickte die fünf jungen Leute forschend an. Verlegen schauten diese zu Boden.
»In all den Jahren, an die ich mich zurückerinnern kann, hat es am Heiligen Abend auf dem Gestüt keine trübselige Stimmung gegeben. Und die erlaube ich auch heute nicht. Gott hat euch zu mir geleitet, dafür wollen wir ihm danken. Katharina, Franziska, geht in mein Esszimmer und bringt die Speisen hierher. Johann, hol aus dem Keller eine Flasche Rotwein, und dann werden wir gemeinsam Christi Geburt
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