Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Schreiber mit Papier und Federkiel und ein Notar betraten den Raum. Mit einem Blick erfasste Maldner die Lage und schlug dem Schergen das Seil aus der Hand. Als die Frau zu Boden fiel, brüllte sie laut auf.
»Wer hat euch erlaubt zu foltern? Erst gestern habt ihr ohne meine Zustimmung die andere Frau der Tortur unterzogen.« Der Schöffe blickte den Henker sowie seine Helfer scharf an.
»Wir haben uns an die allgemeinen Vorgaben der Halsgerichtsordnung gehalten!«, verteidigte der Henker sein Vorgehen. »Dass wir von einem Scharlatan abgelöst werden sollen, hat uns niemand gesagt!«, blaffte er in Barnabas’ Richtung.
»Ihr könnt gehen«, forderte Maldner die Gesellen auf.
»Und was ist mit unserem Lohn?«
Der Schöffe griff in die Tasche seines Beinkleids und zog für jeden ein Geldstück heraus.
»Was soll das?«, fragte der Scherge. »Das ist nicht das vereinbarte Entgelt!«
»Ihr könnt froh sein, wenn ihr überhaupt etwas bekommt. Und jetzt verschwindet.«
Der Scharfrichter und seine Helfer verließen nur widerwillig den Folterkeller. Leise stießen sie gegen Barnabas und den Meisterschöffen Beleidigungen aus, in dem Wissen, dass man ihnen nichts anhaben konnte.
Als sich die dicke Eisentür quietschend hinter ihnen schloss, blickten der Notar und der Schreiber Maldner neugierig an.
Der wandte sich Barnabas, Maria und Servatius zu. »Nun zeigt mir, dass ihr das Geld wert seid, das ihr von mir verlangt habt.«
Barnabas lehnte den Kopf gegen das Eisengestell des Schlittens. Er war mit sich und seiner Arbeit zufrieden.
Leise lachte er in sich hinein. »Ich bin ein Meister meines Fachs«, gratulierte er sich selbst. »Es ist erstaunlich, welche Wirkung diese krautige Pflanze mit der schmutzig gelben Blüte hervorbringen kann. Man muss nur wissen, wie viel man verabreichen darf, damit sie nicht tötet.«
Barnabas hatte der Frau genau die richtige Menge des Bilsenkrauts gegeben, so dass sie nicht nur keine Schmerzen mehr hatte, sondern auch in einen Rauschzustand versetzt wurde. Nun war es für ihn ein Leichtes, die »Hexe« in der Frau hervorzulocken. Sprachlos hatten der Meisterschöffe, der Notar und auch der Schreiber ihren Aussagen gelauscht.
Schamlos erzählte die Angeklagte von Fress- und Sauforgien, die sie mit anderen Frauen erlebt hätte. Sie fabulierte von dem hübschen Mann, der ihr angeblich schöne Worte ins Ohr flüsterte und ihr Blut in Wallung brachte. Sie gab auch bereitwillig Auskunft darüber, dass sie mit dem Schönling geheime Orte aufgesucht hätte, um mit ihm Unzucht zu treiben. Doch weder bezeichnete sie den Mann als Teufel noch die Frauen als Hexen.
Nach einer Weile bat Barnabas Maria, die abwartend in einer Ecke gesessen hatte, sich die Frau genauer anzusehen.
»Kannst du dich an sie erinnern, mein Kind?«, fragte er mit leiser Stimme. Maria umrundete die Frau, die dämlich grinsend auf dem Boden saß.
»Nein«, flüsterte Maria.
Barnabas drehte das Mädchen so, dass es ihm in die Augen blicken musste. »Versuche dich zu erinnern, Maria!«, forderte er sie freundlich auf. »Deine Aussage ist sehr wichtig. Du weißt, dass Frauen, die einen Bund mit dem Teufel eingegangen sind, nicht ungeschoren davonkommen dürfen.« Mit diesen Worten küsste er Maria auf die Stirn.
»Das ist alles Blödsinn!«, ereiferte sich Servatius. »Das Mädchen hat keinerlei Erinnerung an die Frau. Lass mich meine Arbeit machen, Barnabas, und ich versichere dir, dass wir schon bald ein Geständnis haben.«
Maria blickte Servatius wütend an, denn mit seinem gehässigen Gerede zerstörte er ihr diesen kostbaren Augenblick. Nachdenklich tastete sie über die Stelle, wo Barnabas’ Lippen sie berührt hatten. Solche Zuwendung hatte sie nie zuvor bekommen. Die Liebkosung spornte sie an, und sie wollte dem Magier unbedingt helfen. Sie bedachte Servatius mit einem kalten Blick und umrundete die Frau ein weiteres Mal, als die Angeklagte plötzlich ein Kinderlied zu summen begann. Erschrocken blieb Maria stehen.
»Was hast du?«, fragte der Magier.
»Ich kenne dieses Lied.«
»Hast du es auf dem Hexentanzplatz gehört?«
Das Mädchen nickte.
»Überlege genau!«, forderte der Meisterschöffe es auf.
Wieder ein Erwachsener, der mir nicht glauben will!, schimpfte Maria in Gedanken und ballte ihre Hände vor Zorn zu Fäusten. Sie wandte sich wieder Barnabas zu, und als sie den gütigen Ausdruck in seinen Augen sah, verrauchte ihre Wut, und sie flüsterte ihm geheimnisvoll zu: »Zwar
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