Der Hexenturm: Roman (German Edition)
wurde ihr Gesicht von einer Maske verdeckt, aber das Lied hat sie soeben verraten. Höre, Barnabas, ich habe mir die Melodie gemerkt.« Leise summte Maria dasselbe Lied, und die Frau stimmte mit ein.
Das hatte den Meisterschöffen überzeugt, und ohne Widerrede bezahlte er den vereinbarten Lohn. Erst als die Münzen in Barnabas’ Händen klimperten, verriet er Mathias Maldner, dass im Ort eine weitere Hexe wohnte.
Kapitel 26
Am Morgen des Heiligen Abends im Hause des Amtmanns von Wellingen
Bis jetzt hatte Johann von Baßy dem Knecht Paul schweigend zugehört. Nun lachte er leise in sich hinein und sagte: »Nur weil die Magd deine Zuwendung verschmäht und sich einen anderen auserwählt hat, macht sie sich keines Verbrechens schuldig.«
Der Spott, der aus seinen Worten herauszuhören war, erzürnte den Knecht. Mit hoher Stimme verteidigte er erregt sein Ansinnen: »Sie hat mich belogen und auch betrogen. Ich wollte ihr ein Freund sein, und sie ließ mich in dem Glauben, dass sie das auch wolle. Ihr selbst habt mich dazu ermutigt, mich ihr zu nähern. Und jetzt lacht Ihr mich aus?«
»Ich habe nicht gesagt, dass du für sie Gefühle entwickeln sollst, du Hornochse! Du solltest sie lediglich umgarnen, um herauszufinden, woher sie und die anderen Fremden kommen und warum sie von dort fortgegangen sind.« Selbst dafür bist du zu blöd. Kein Wunder, dass sie dich nicht will, fügte von Baßy in Gedanken hinzu.
»Sie kann nicht ungeschoren davonkommen!«, versuchte Paul den Amtmann zu überzeugen. »Schließlich hat sie mich zum Gespött der Leute gemacht, weil sie den Schweinehirten mir vorzieht.«
»Das ist wirklich bitter!«, stimmte von Baßy zu. »Doch heute ist der Heilige Abend, Paul, und da kann ich nichts für dich tun, zumal ich keine belastenden Verstöße von ihr in Händen habe. Allerdings rate ich dir auch weiterhin, Augen und Ohren offen zu halten. Sobald du mir etwas Entscheidendes mitteilen kannst, werde ich sehen, was ich für dich tun kann.«
Aufmunternd klopfte der Amtmann dem Knecht auf den Rücken. »Sei weiterhin nett zu ihr, damit sie keinen Verdacht schöpft. Hier, Paul, meine Weihnachtsgabe für deine Bemühungen!« Die bis jetzt nicht viel wert waren!, dachte von Baßy und legte dem Knecht eine Münze in die Hand. Aber wer weiß, vielleicht bekomme ich noch das, was ich brauche.
Der Heilige Abend kam und lenkte die Menschen im Land für wenige Stunden von ihren Sorgen und Nöten ab. Arm und Reich versammelte sich in den Kirchen und dankte dem Herrn – selbst diejenigen, deren Dasein von Entbehrungen und Not gezeichnet war.
Manche dankten, weil sie trotz Armut und Hunger das Jahr überlebt hatten, andere, weil sie von Krankheiten verschont geblieben waren. Einige dankten, dass er ihnen eine neue Heimat gegeben hatte, und eine Frau war dankbar, dass sie nicht mehr allein war.
An diesem einen Abend schien Zufriedenheit unter den Menschen zu herrschen.
Bonner saß in seinem Verlies auf Burg Greifenstein und glaubte leise das Glockengeläut der Burgkirche zu hören. Die beiden Burschen, die täglich sein Essen brachten, hatten ihm verraten, dass an diesem Abend Christi Geburt gefeiert wurde. Bonners Augen brannten von den Tränen, die er zu unterdrücken versuchte. »Ein Bonner heult nicht!«, schimpfte er sich selbst und wischte sich übers Gesicht. Doch als er an seine Tochter Karoline dachte, war es mit seiner Beherrschung endgültig vorbei. »Ich hätte längst zurück in Tastungen sein und heute mit ihr feiern müssen. Wie wird es meinem Karolinchen wohl ergangen sein, seitdem wir uns das letzte Mal sahen?«, jammerte er laut.
Und dann blitzte Wut in seinen Augen auf. »Dieser dämliche Simon wird den Bären nie erlegen, und ich werde auf ewig hier eingesperrt sein. Wäre ich doch nie in diesem Gasthaus eingekehrt, sondern der Handelsstraße gefolgt, dann hätte ich Johann und die Hexe längst eingeholt!« Er musste husten, und sein trockener Schlund brannte wie Feuer. Auch das Dröhnen in seinem Kopf nahm bei jedem neuen Hustenanfall zu. Bonner legte sich ermattet auf seinen Strohsack und hoffte, dass der Schlaf ihn bald übermannen würde, damit er nicht weiter über sein Schicksal nachdenken musste.
Albrecht Harßdörfer ging unruhig in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Immer wieder linste er aus dem Fenster, um nachzusehen, ob seine Bewacher noch vor dem Haus standen. Selbst am Heiligen Abend harrten sie in eisiger Kälte aus, damit der Bürgermeister
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