Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Leute gemacht. Johann, weil er mit einer Hexe durchgebrannt war, und Annerose, weil sie selbst Hand an sich gelegt hatte. Zwar hatte Anneroses Bruder, der Pfarrer Lutz Lambrecht, versucht nichts von ihrem Selbstmord nach außen dringen zu lassen, doch rasch war ihr Freitod zum Dorfgespräch geworden. Erst recht nachdem der Pfarrer seine Schwester mitten auf dem Kirchhof und nicht wie bei Selbstmördern üblich am Rand beerdigt hatte.
Bonners Blick verfinsterte sich. Er hatte gehofft, dass man seinen Schwager Lambrecht deshalb zurechtweisen würde. Doch der Pfarrer wusste, wie er seine Schäfchen beruhigen konnte, und predigte so manches Gleichnis über Nächstenliebe von der Kanzel herunter. Da er zudem der einzige Pfarrer der Umgebung war und in der Gunst des Grafen Adolph Ernst von Wintzingerode stand, wusste jeder, dass das für eine Selbstmörderin unangemessene Begräbnis keine Folgen für den Geistlichen haben würde.
Auch Bonner war sich darüber im Klaren, und diese Gewissheit nährte seinen Zorn. Nur zu gerne hätte er seinen Schwager davongejagt, um wenigstens ein bisschen Genugtuung zu verspüren. Schließlich musste irgendjemand dafür büßen, dass Annerose sich mit Bonners Schützengürtel erhängt hatte.
Dreimal hintereinander musste man beim Wettschießen gewinnen! Dreimal! Erst dann durfte man diesen wertvollen Preis mit nach Hause nehmen: einen Gürtel aus feinstem Leder, dessen Schnalle ein Fachmann mit einem Hämmerchen kunstvoll bearbeitet hatte. Auch war der Verschluss mit kleinen Halbedelsteinen verziert, so dass der Träger des Gürtels sich wie ein Edelmann fühlte.
Dieser Gürtel war auf dem Eichsfeld einmalig, und dieses Miststück erhängte sich einfach damit! Wenn sie dafür wenigstens ein wertloses Stück Seil genommen hätte! Doch dieses Luder muss mich selbst nach ihrem Tod noch ärgern, schimpfte der Großbauer in Gedanken und hieb den Krug mit lautem Knall auf den Tisch. Erschrocken blickten die übrigen Gäste zu ihm herüber, doch Bonner beachtete sie nicht weiter. Wütend schweiften seine Gedanken wieder zu der Toten.
Um das Weibsstück von der Türklinke losmachen zu können, war ihm nichts anderes übrig geblieben, als das edle Leder zu zerschneiden. Nie würde Bonner den Anblick des durchschnittenen Gürtels vergessen, der in diesem Moment unbrauchbar und wertlos geworden war. Wäre seine Frau nicht schon tot gewesen, er hätte sie eigenhändig in die Hölle befördert.
Zwar hatte Bauer Bonner wenige Tage später einen neuen Gürtel für die Schnalle in Auftrag gegeben, doch der Gerber hatte kein vergleichbares Leder auftreiben können. Das Ziegenleder war zu dünn und das Schweinsleder zu grobporig. Erst nach Wochen hatte er Rossleder beschaffen können, das dem zerschnittenen am ähnlichsten war. Obwohl Bonner den Gürtel nun wieder nutzen konnte, war ihm doch die Freude an dem wertvollen Stück vergangen.
Der Bauer schnaubte ungeduldig. Wo blieb nur Harßdörfer? Punkt sieben waren sie hier verabredet gewesen. Was Albrecht wohl von mir will?, überlegte Bonner gereizt. Mit den Fingerspitzen schnippte er in Richtung Wirtsfrau, und als sie endlich zu ihm blickte, zeigte er auf seinen leeren Krug und schimpfte: »Willst mich wohl verdursten lassen!«
»Das kann dir heute nicht mehr passieren, Großbauer«, erwiderte sie spitz.
In dem Augenblick öffnete sich die Wirtshaustür, und der Bürgermeister von Duderstadt betrat den Schankraum. Sofort wurde er von allen laut begrüßt. Nur Bonner sagte keinen Ton, sondern sah dem Mann gereizt entgegen.
Kaum saß Harßdörfer am runden Tisch, brachte der Wirt persönlich ihm einen Krug Bier und erkundigte sich nach seinem Befinden. Aus geröteten Augen blickte Bonner ungeduldig von einem zum anderen. Endlich ging der Gastwirt zurück hinter den Tresen.
»Du siehst schlecht aus, Casper!«, spöttelte der Bürgermeister zwischen zwei Schlucken. »Vielleicht solltest du öfter Wasser statt Bier trinken!«
»Kümmere du dich um deine eigenen Angelegenheiten, Albrecht! Warum willst du mich sprechen? Doch nicht nur, um mich zu verhöhnen.«
»Nun sei nicht so empfindlich, mein Lieber. Ich meine es nur gut mit dir. Schließlich sind deine Freunde rar geworden.«
Während der Bürgermeister den Krug erneut an die Lippen setzte, konnte er sich ein leises Lachen kaum verkneifen.
Bonner schluckte und fragte erneut: »Was willst du von mir?«
Plötzlich wich aus Harßdörfers Blick jegliche Freundlichkeit, und seine
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