Der Hexenturm: Roman (German Edition)
bist ein Jäger, und ein Jäger stöbert das Wild auf. Genauso musst du die Hexe aufspüren. Doch du musst dich eilen, Casper, denn so wie eine Meute Bluthunde kaum zu bändigen ist, wenn sie erst eine Fährte gewittert hat, ebenso wenig kann ich die Ratsmitglieder noch viel länger hinhalten. Dein Besitz ist groß, und du hast so manchen Neider unter ihnen, der nur darauf lauert, dir alles zu nehmen.«
Bonner lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Wie zur Abwehr verschränkte er die Arme vor seiner breiten Brust, die sich heftig hob und senkte.
»Bevor mein Hab und Gut an diese Futterneider fällt, laufe ich lieber bis ans Ende der Welt, um diese elende Hexe zu finden.«
Erfreut führte der Bürgermeister seinen Krug an die Lippen und murmelte: »So ist es recht, Casper! So ist es recht!«
Bonner blickte Harßdörfer nachdenklich an. »Warum erzählst du mir das? Schließlich würdest auch du etwas von meinem Land abbekommen!«
Mit dieser Frage hatte der Bürgermeister gerechnet, er war vorbereitet: »Wir kennen uns schon eine Ewigkeit und haben so manches Wildschwein zusammen gejagt. Wäre meine Christel damals nicht schwanger geworden, hätte ich deine Schwester geheiratet, und du wärst mein Schwager geworden. Ich fühle mich dir verbunden, mein Freund. Deshalb bin ich heute hier. Außerdem brauche ich keinen weiteren Besitz. Ich bin reich genug!«
Hastig prostete Harßdörfer dem Bauern zu und senkte den Blick. Bonner sollte in seinen Augen weder erkennen, dass er log, noch, dass er Angst hatte.
Bonner bemerkte nichts. Ihm standen vor Angst Schweißperlen auf der Stirn, und seine Wangen waren derart gerötet, als plage ihn Fieber. Keuchend bat er Harßdörfer um ein Versprechen: »Wenn ich fort bin, musst du auf mein Karolinchen aufpassen! Gib acht, dass sie niemand vorzeitig vom Hof verjagt oder ihr Leid zufügt! Versprich mir das, Albrecht. Ich werde noch vor Jahresende die Hexe nach Duderstadt zurückbringen. Kannst du die Ratsmitglieder so lange hinhalten?«
»Ich werde alles versuchen, was in meiner Macht steht, Casper. Und auf deine Tochter werde ich aufpassen, als wäre sie meine eigene. Das verspreche ich dir bei meiner Ehre, alter Freund.«
Zu Hause begab sich Bonner sofort in die Küche, wo seine Tochter Karoline am Tisch saß und einen Läufer bestickte. Als er eintrat, blickte sie auf und schenkte ihm ein Lächeln.
»Ich habe auf dich gewartet, Vater! Sicher hast du Hunger. Soll ich dir das Essen aufwärmen?«
Der Bauer strich der Vierzehnjährigen mit seiner Pranke zärtlich über den Scheitel. »Du warst mir schon immer die Liebste, mein Kind!« Fragend blickte Karoline den Vater an.
»Brot und Feldkieker reichen mir«, lenkte er das Mädchen ab, obwohl er keinen Hunger verspürte. Er wollte seine Tochter nicht mit seinen Sorgen belasten – jedenfalls nicht heute. Da er jedoch schnellstmöglich aufbrechen musste, würde er ihr schon morgen alles erzählen. Bei dem Gedanken, seine Tochter allein zurücklassen zu müssen, wurde ihm schwer ums Herz. Karoline bemerkte davon nichts. Eifrig schnitt sie zwei Scheiben Brot und ein dickes Stück von der Hartwurst ab. Beides legte sie auf ein Holzbrett, das sie vor dem Vater auf den Tisch stellte.
»Soll ich dir einen Becher Würzwein wärmen, Vater?«
Der Bauer schüttelte sich. »Um Himmels willen, Kind! Nur nichts Warmes. Ein Bier wäre mir recht.«
Nachdem Bonner das Gasthaus verlassen hatte, blieb Harßdörfer noch eine Weile sitzen. Nachdenklich starrte er auf einen dunklen Punkt im Tischholz, der langsam vor seinen Augen verschwamm.
Zum Glück hat Casper sich mit meinen Erklärungen zufriedengegeben, dachte er. Nur zu gerne würde er den Bauern begleiten, damit er sichergehen könnte, dass die Hexe wirklich in Duderstadt brennen würde. Denn wenn nicht, dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als selbst aus der Stadt zu fliehen.
Harßdörfer kratzte sich nervös am Hals, bis seine Haut brannte. Bis Weihnachten! dachte er. Bis Weihnachten habe ich noch genügend Zeit, alle Schuld auf die Hexe zu lenken.
Kapitel 4
Dingelstedt auf dem Eichsfeld im Juli 1617
Seit Tagen brannte die Sonne auf das Eichsfeld herab, so dass die Hitze Mensch wie Tier lähmte.
Die edlen Rösser des Arnoldschen Gestüts standen dicht gedrängt auf den Koppeln zusammen und versuchten sich gegenseitig mit ihren Schweifen die Fliegen zu vertreiben, die in dunklen Wolken um ihre Köpfe schwirrten.
Die Fohlen lagen regungslos im Schatten der
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