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Der Hexenturm: Roman (German Edition)

Der Hexenturm: Roman (German Edition)

Titel: Der Hexenturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deana Zinßmeister
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Bäume, bewacht von ihren Müttern, die mit gesenkten Köpfen träge neben ihnen standen.
    Hechelnd pressten sich die Hofhunde in den Schatten der Hauswände. Einige suchten in dem fast ausgetrockneten Bett der Unstrut einen kläglichen Wasserrest, in den sie sich legen konnten.
    Tagsüber ruhte die meiste Arbeit in Dingelstedt, denn die Menschen flüchteten vor der Sonne in ihre kühlen Häuser und ließen sich kaum blicken. Erst der Abend, der ihnen Erleichterung versprach, würde Alt wie Jung wieder vor die Tür locken. Doch seit der letzten Woche brachten selbst die Nächte den Menschen keine Abkühlung.
    Nur die Grillen schien die Hitze nicht zu stören. Zuhauf zirpten sie im vertrockneten Gras der Wiesen, und selbst in der Nacht konnte man ihrem Konzert lauschen.
     
    Der Arzt Friedrich Schildknecht stand in der Tür seines Elternhauses und wischte sich mit einem feuchten Tuch den Staub aus dem Gesicht. Erst vor wenigen Minuten war er nass geschwitzt aus dem Nachbarörtchen Helmsdorf zurückgekehrt.
    Bereits in den frühen Morgenstunden hatte der Sohn des alten Fridolin ihn rufen lassen, da seinen Vater der Schlag getroffen hatte. Obwohl sich der junge Schildknecht sputete, kam er zu spät, und der Alte war bereits verstorben.
     
    Friedrich klebte die Zunge am Gaumen. Verschwitzt ging er hinüber zum Brunnen in der Mitte des Dorfes und labte sich am kalten Wasser. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, goss er sich einen Eimer eiskaltes Brunnenwasser über den Kopf. Wie ein nasser Hund schüttelte er sich und rieb sich anschließend das Gesicht trocken. Als er aufblickte, sah er, dass Anna Münzbacher den staubigen Weg zum Friedhof einschlug. Obwohl die Sonne den Tag erhellte und die junge Frau einen Strauß bunter Sommerblumen in Händen hielt, wirkte ihre Erscheinung düster. Nachdenklich schaute Friedrich ihr hinterher. Es wird Zeit, dass sie die schwarze Kleidung ablegt!, dachte der junge Mann, während ein zaghaftes Lächeln seine Lippen umspielte. Viel zu lange schon hatte sie ihren Körper und ihr Wesen hinter dieser schwarzen Wand versteckt.
     
    Zuerst hatte Anna sich in schwarze Kleidung gehüllt, weil ihre Eltern zu Tode gekommen waren. Dann, weil sie glaubte, dass ihr Bruder Clemens umgekommen wäre. Und nun trug sie Schwarz, weil auch ihr Mann gestorben war.
    Friedrich wusste, dass der Tod ihres Ehemanns die junge Frau kaltließ. Die Trauerkleidung diente lediglich dazu, die Leute im Dorf zu täuschen und ihnen vorzugaukeln, dass die Witwe unter dem Verlust litt.
     
    Friedrich blickte sich suchend um. Keiner der anderen Dorfbewohner war zu sehen. Lächelnd strich er sich die feuchten Haare zurück, zupfte sein Hemd zurecht und folgte Anna auf den Friedhof.
     
    Anna setzte sich auf die Bank unter der dicken Eiche. Das dichte Blätterwerk spendete zwar Schatten, jedoch keine Abkühlung. Die Luft war von der Hitze erfüllt, und jede Bewegung trieb ihr den Schweiß aus den Poren. Der jungen Frau klebte das schwarze, dicht gewebte Kleid feucht am Körper. Langsam strich sie sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Knoten gelöst hatten und nun an Hals und Wangen hafteten. Eigentlich hatte sie erst am Abend auf den Friedhof gehen wollen, doch die Unruhe trieb sie schon jetzt aus dem Haus.
    Mit traurigen Augen schaute Anna auf das Grab ihrer Eltern. Sie stand auf, um die Blumen, die sie in der Hand hielt, niederzulegen und zu beten.
    Drei Jahre waren sie tot! Drei Jahre, in denen viel geschehen war!
    Annas Blick schweifte zu der Grabstelle neben der ihres Vaters. Hier hatten sie eine verbrannte Leiche begraben, von der jeder in Dingelstedt und Umgebung annahm, dass es ihr Bruder Clemens sei. Doch in Wirklichkeit lag hier die Wäscherin Marga beerdigt – was allerdings keiner der übrigen Dorfbewohner wusste, und das sollte auch so bleiben. Anna hatte wegen dieser Lüge kein schlechtes Gewissen. Sie tröstete der Gedanke, dass die Wäscherin Marga als mittellose Frau ein Armengrab am hinteren Rand des Kirchhofs erhalten hätte. So aber lag sie an einem schönen Platz mit Blick über die Koppeln in einem teuren Sarg. Da Marga keine Familie hatte, musste niemand benachrichtigt werden, und so konnte das Geheimnis gewahrt bleiben.
     
    Neben der Wäscherin war ein weiteres frisches Grab zu erkennen. Der Erdboden hatte sich noch nicht gesetzt, weshalb bis jetzt kein Grabstein darauf stand, sondern nur ein schlichtes Holzkreuz. Wenn es nach ihr ginge, würde die Stelle schmucklos bleiben,

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