Der Hexenturm: Roman (German Edition)
ich mit dir rede!«, schnaubte Bonner verhalten, damit niemand ihn hören konnte. »Wie konntest du mir das nur antun? Du warst mein Augenstern. Für dich hätte ich alles getan!«
»Du hast mich allein gelassen, Vater. Wenn du mir zumindest eine Nachricht hättest zukommen lassen… Aber so musste ich mich ohne Hilfe behaupten und habe voller Angst vor dem Richter gestanden. Der Abschaum wollte mich foltern und verbrennen!«, schluchzte das Mädchen.
Erschrocken blickte Bonner sie an, doch dann gewann sein Zorn wieder die Oberhand. »Ja, glaubst du denn, ich habe mich unterwegs belustigt? Mehrere Monate saß ich in einem finsteren Loch bei Wasser und Brot und hatte das Gefühl, bei lebendigem Leib zu verfaulen.«
Karoline sah ihren Vater gleichgültig an. »Was kann ich dafür?«, presste sie zwischen schmalen Lippen hervor.
Als Bonners Gesicht in der Dunkelheit am Fenster der Stube aufgetaucht war, hatte Karoline laut aufgeschrien, da sie glaubte, ein Einbrecher wolle ihr Böses. Hoffentlich weiß er nicht, dass ich allein im Haus bin, war es ihr durch den Kopf geschossen. Wie gelähmt hatte sie dagestanden. Zum Glück war der Mann wieder vom Fenster verschwunden, und Karoline hatte gehofft, ihn mit ihrem Schrei vertrieben zu haben. Verängstigt hatte sie die Stubentür geöffnet, um auf ihr Zimmer zu gehen, als der Mann plötzlich vor ihr gestanden hatte. Erneut hatte sie aufschreien wollen, doch der Fremde war ihr zuvorgekommen und hatte ihr die Hand auf den Mund gepresst. Karoline hatte versucht sich loszureißen, als er ihr ein Kosewort ins Ohr geflüstert hatte. Da hatte sie gewusst, wer vor ihr stand. Der Fremde war ihr Vater!
Karoline hatte sich aus seinem Griff gewunden und war aufgeregt in der Stube hin und her gelaufen, um Türen und Fensterläden zu schließen.
»Wenn dich jemand sieht, Vater, wird er sofort die Bürgerwehr verständigen«, hatte sie ihn gewarnt. »Dann werden wir beide verhaftet.«
Nun saßen sich Vater und Tochter wie Fremde gegenüber und starrten sich vorwurfsvoll an. Kein Wort der Freude über das unverhoffte Wiedersehen kam über ihre Lippen.
»Du solltest ein Bad nehmen«, sagte Karoline nach einer Weile und rümpfte angewidert die Nase. Bonner wollte aufbrausen und sie zurechtweisen, doch er war zu erschöpft. Zu müde zum Reden, zu müde zum Nachdenken, zu müde, um sich zu wehren. Er nickte und sagte: »Lass uns morgen weiterreden. Ich will jetzt nur noch in mein Bett.«
»Vater, man darf dich hier nicht sehen!«, wies Karoline ihn mit energischer Stimme zurecht. »Alle glauben, dass du gemeinsam mit dem Bürgermeister von Duderstadt das Geld der Stadtkasse unterschlagen und die Handwerker betrogen hast. Harßdörfer wurde der Hexerei angeklagt und vor etlichen Wochen hingerichtet. Das gleiche Schicksal droht auch dir. Jeder im Dorf hält dich der Hexerei für schuldig.«
Bonner blickte seine Tochter aus rot geränderten Augen an und fragte: »Und was glaubst du, Karolinchen?«
Die junge Frau zuckte mit den Schultern und meinte: »Was soll ich glauben? Du bist mein Vater.«
Bonner lag in seinem eigenen Haus auf dem Dachboden, dort, wo der unnötige Kram aufbewahrt wurde. Wenn ich nicht zu erschöpft wäre, dachte er, würde ich lauthals lachen. Das erste Mal seit Monaten habe ich Gelegenheit, in einem weichen Bett zu schlafen. Stattdessen liege ich erneut auf hartem Boden.
Entkräftet rollte er sich zusammen und dachte an seine Tochter. Die Ereignisse haben aus meinem Karolinchen eine harte Frau gemacht. Dieser Hurensohn Harßdörfer sollte sie beschützen und dafür sorgen, dass ihr kein Leid geschieht, dachte Bonner wütend. Stattdessen hat er sie beinahe mit ins Verderben gerissen. Wäre er nicht schon tot, ich würde ihm auf der Stelle die Gurgel umdrehen. Aber dieser Verräter hat seine gerechte Strafe bekommen! Bonner schloss die Augen und versuchte zu schlafen, doch immer wieder schreckte er hoch. Karoline hat Recht. Ich kann hier nicht bleiben, wurde ihm schlagartig bewusst. Wenn sie mich finden, werden sie mich ebenfalls auf den Scheiterhaufen zerren. Ich muss wieder fort und Johann und diese Magd finden. Nur wenn ich ihnen eine wahre Hexe vorführe, werden sie erkennen, dass sie sich irren und ich unschuldig bin. Bonner schlug die Hände vors Gesicht und flüsterte: »Welch ein Alptraum!«
Ein Stockwerk unter Bonner lag seine Tochter grübelnd im Bett. »Warum musste der Alte zurückkommen?«, schimpfte sie leise. »Er bringt uns beide
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