Der Hexenturm: Roman (German Edition)
in die Hand.
Als er aus dem Stall heraustrat, hatte der Regen nachgelassen, und auch der Wind war abgeflacht. Die grauen Wolken teilten sich, und die Sonne lugte hervor. Burghard wollte gerade an das wuchtige Portal von Königsdorfers Amtssitz klopfen, als er aus den Augenwinkeln eine Gestalt wahrnahm, die aus einem der Nachbargebäude kam und eilig den Platz überquerte. Burghard wusste sogleich, wen er da sah.
»Barnabas!«, flüsterte er leise, doch der Mann hatte ihn gehört.
Der Magier blieb stehen und blickte den Mönch ungläubig an. »Burghard?«, fragte er. Dann ging er auf den jungen Mann zu, und seine Augen begannen zu leuchten.
»Burghard! Du bist es tatsächlich«, rief er freudestrahlend und umarmte ihn.
Auch Burghard freute sich, den Magier wiederzusehen, und erwiderte die Umarmung.
»Du bist ja vollkommen durchnässt«, stellte Barnabas fest. »Komm mit in meine Kammer, dort kannst du dich wärmen.«
Ohne zu zögern, folgte Burghard dem Zauberer, denn er fror erbärmlich.
Kaum hatte Barnabas die Tür geöffnet, rief er lachend: »Maria, ich habe Besuch mitgebracht!« Burghard trat ein und stand einem Mädchen gegenüber, das ihn aus ernsten dunklen Augen vom Scheitel bis zur Sohle musterte. Burghard hielt ihrem Blick stand und besah sich das Mädchen ebenfalls.
Barnabas entfachte derweil ein Feuer in dem kleinen Ofen und setzte einen Kessel Wasser auf. Dann nahm er Burghard den durchnässten Umhang ab.
»Nimm Platz«, bat er den Burschen. An das Mädchen gewandt sagte er: »Das ist Burghard, mein Schüler.«
Maria schmiegte sich an den Magier und sagte, ohne Burghard aus den Augen zu lassen: »Er ist netter als Servatius. Ich mag ihn.« Erstaunt blickte der Mönch auf. Barnabas’ Augen glitzerten vor Freude, und er nickte. »Das hast du richtig erkannt, mein Kind.«
Nachdem der Magier heißen wärmenden Pfefferminzsud in Becher gefüllt und gereicht hatte, blickte Burghard ihm in die Augen und sagte: »Ich habe gehört, dass es dich hierher verschlagen hat. Auch weiß ich, dass Servatius tot ist.« Erstaunt zog Barnabas die Augenbrauen zusammen. »Wer hat dir das gesagt? Niemand kennt mich hier.«
»Das ist nicht wichtig, Barnabas. Ich hatte gehofft, dich wiederzusehen, damit ich dir sagen kann, dass ich kein Dieb bin.« Der Magier nickte. »Das weiß ich, mein lieber Freund.« Mit müder Stimme berichtete Barnabas, wie er selbst Servatius das Geld entwendet hatte, weil er damals gehofft hatte, den aufmüpfigen Mönch gefügig zu machen.
»Ich hätte nie gedacht, dass er dich beschuldigen würde«, versuchte Barnabas sein Handeln zu rechtfertigen. Burghard wollte aufbrausen, doch verließ ihn die Kraft, und er sagte: »Meine Flucht wäre nicht vonnöten gewesen, hättest du mir die Wahrheit gesagt, Barnabas. Kannst du dir die Angst vorstellen, die ich ausgestanden habe, weil ich befürchten musste, dass Servatius mich umbringen würde? Ich habe mich nicht zurück ins Kloster gewagt«, hielt er ihm vor. Als Burghard sah, wie Barnabas schuldbewusst den Blick senkte, hatte er Mitleid mit dem alten Mann.
Barnabas war noch immer eine gepflegte Erscheinung. Sein hellgrauer Umhang war sauber und verströmte einen blumigen Duft, der Burghard vertraut war. Das Haar des Magiers fiel ihm unverändert in dichten Wellen über die Schulter, doch es schien seinen silbrigen Glanz verloren zu haben. Seine Gestalt wirkte dürr und ausgezehrt, und seine beringten Finger waren dünn geworden.
Du bist gealtert, dachte Burghard traurig.
Barnabas spürte Burghards Blick auf sich ruhen und lächelte ihm zu. »Die Umstände und die Zeit haben auch bei mir Spuren hinterlassen. Erzähl mir, wie es dir ergangen ist. Wie geht es Katharina? Ich hoffe, dass ihr beide noch zusammen seid.«
Bei der Erwähnung von Katharinas Namen wurde es Burghard flau im Magen. Mit leiser Stimme berichtete er dem Magier, weshalb er am Morgen nach Püttlingen geritten war.
»Katharina wird der Hexerei bezichtigt?«, fragte Barnabas fassungslos. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Sie, die eine derart reine Seele hat, kann keine Hexe sein.«
»Vielleicht habe ich sie beim Hexentanz gesehen«, warf Maria ein und summte leise vor sich hin.
»Nein, Maria, auch das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen!«, erklärte Barnabas.
Betroffen blickte Burghard das Mädchen an. »Wie meint sie das? Was hat sie mit Hexen zu tun?«, fragte er leise an Barnabas gewandt. Daraufhin erzählte der Magier
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