Der Hexenturm: Roman (German Edition)
auf den Boden fällt, springt der Deckel auf, und die Taler fallen auf das Feld. Unser Knecht würde sich freuen, wenn er beim Pflügen Gold fände.«
»Es ist so düster, Vater! Warum müssen wir in einer Neumondnacht das Geld in Sicherheit bringen? Ich kann meine Hand vor Augen kaum erkennen, geschweige denn sehen, wo ich hintrete!«
»Nur Mut! Wir sind gleich da.«
»Müssen wir unser Geld unbedingt im Acker vergraben? Können wir es nicht auf dem Dachboden oder im Stall verstecken?«
»Nein! Da würden sie zuerst suchen!«
»Wer, Vater? Bist du in Schwierigkeiten?«
»Alles, was ich mache, ist nur zu deinem Besten, mein Kind.«
»Das weiß ich, Vater! Doch sage mir, warum wir mitten in der Nacht unser Geld auf dem Feld vergraben müssen.«
»Ich werde es dir erklären, sobald die Truhe unter der Erde ist.«
»Werden wir bedroht?«
»Vielleicht.«
»Vater, ich werde keinen Schritt weitergehen, wenn du mich länger im Unklaren lässt!«
»Schweig, Kind. Wir müssen uns eilen, sonst werden wir entdeckt. Sobald wir zu Hause sind, werde ich dir alles erklären.«
Bonner trat seinem Pferd heftig in die Flanken. Die Erde spritzte nach allen Richtungen, als der mächtige Huf den Boden berührte. Schnaubend galoppierte das Ross über die Felder von Hundeshagen. Bereits nach kurzer Zeit waren rechts die wenigen Häuser von Ferna zu erkennen und hinter der nächsten Kuppe auf der linken Seite die Häuser von Tastungen. Beide Orte streifte Bonners Blick nur kurz. Hemmungslos trieb der Reiter das Pferd an. Er hatte es eilig. In Duderstadt wollte er den Neffen des Bürgermeisters aufsuchen, der angeblich Johann und die Magd während einer Wallfahrt auf dem Hülfensberg, nur Tage nachdem die beiden von seinem Hof geflohen waren, erkannt haben wollte.
Als Bonner die ersten Behausungen von Duderstadt außerhalb der Stadtmauer sah, zügelte er das Pferd, so dass es in Trab fiel. Am Westerturm gab er es beim Stall ab und ging zu Fuß durch die engen Gassen. Da er weder einem Ratsmitglied noch dem Bürgermeister im Stadthaus begegnen wollte, suchte Bonner einen Bäckerladen in der Nähe des Marktplatzes auf. Hier wollte er nach Josefs Adresse fragen. Bonner kaufte einen frisch gebackenen süßen Kringel und biss gierig hinein. Während er schmatzend kaute, fragte er nach der Straße, in der der Bursche wohnte. Weil Josef in der Stadt stets den Tag des Bierbrauens ausrief, war er den Duderstadtern wohl bekannt. Hilfsbereit erklärte die Bäckersfrau dem Bauern den Weg.
Ohne Schwierigkeiten fand Bonner das schmale zweistöckige Haus der Familie, das mitten in einer langen Häuserzeile stand. Der Bauer hämmerte ungeduldig mit der Faust gegen die geschwärzte hölzerne Eingangstür, woraufhin ein altes Mütterlein öffnete. Die Alte blickte den Fremden aus trüben Augen an.
»Was macht Ihr für einen Lärm? Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?«, krächzte sie.
»Ich suche einen Burschen namens Josef.«
»Wer sucht ihn?«, fragte sie mit heiserer Stimme.
»Ich komme aus Hundeshagen und muss ihn wegen der Wallfahrt auf dem Hülfensberg sprechen«, erklärte Bonner, ohne seinen Namen zu verraten.
Das Gesicht der Alten kam näher. Die fast blinden Augen musterten Bonner von oben bis unten. »Ich kenne dich, Bauer! Dein Sohn ist mit der Hexe durchgebrannt«, sagte sie triumphierend und duzte Bonner dabei, was ihn ärgerte.
»Woher wollt Ihr mich kennen?«, fragte er erschrocken. »Wir sind uns nie begegnet!«
»Mein Mann, der Taler Michel, hat bei deinem Vater die Pferde beschlagen. Manchmal habe ich ihn begleitet und in der Küche geholfen.«
Bonner überlegte kurz. »Ja, ich kann mich erinnern. Ihr habt stets bei den Bauern um Arbeit gebettelt. Doch ich habe keine Zeit, mit dir in Erinnerungen zu schwelgen. Ich muss deinen Bengel, den Josef, sprechen«, sagte er und duzte die Alte verächtlich.
»Das ist Vergangenheit«, zischte die Alte. »Doch du warst schon damals ein garstiges Kind und hattest für andere nur Hohn übrig. Scheinbar ist das noch immer so!«
Wütend presste Bonner die Lippen zusammen. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, also sag mir jetzt gefälligst, wo ich den Jungen finden kann.«
»Josef ist der Sohn meiner Tochter und bei seinem Oheim, dem Bürgermeister.«
»Dann werde ich wohl oder übel ins Rathaus müssen«, murmelte Bonner griesgrämig vor sich hin. Ohne sich von der Alten zu verabschieden, wandte er sich ab und ging ein paar Schritte in die Richtung, aus der er gekommen war.
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