Der Hexenturm: Roman (German Edition)
um deinen Sohn, der Unzucht mit einer Hexe treibt. Wolltest du nicht schon längst unterwegs sein und sie suchen? Weißt du nicht, dass dir die Zeit davonläuft? Oder soll ich gleich ins Rathaus gehen und bekannt geben, dass …«
»Senk deine Stimme, Albrecht!«, unterbrach der Bauer den Bürgermeister. »Muss das die ganze Stadt erfahren? Lass uns in deinem Haus weiterreden.«
Als Harßdörfer der Leute auf der Straße gewahr wurde, gab er Zeichen, dass Bonner und Josef ihm folgen sollten. Im Arbeitszimmer sagte er bissig: »Du bringst uns alle in Schwierigkeiten, Casper! Du solltest bereits fort sein.«
Bonner wurde kleinlaut, und seine Selbstsicherheit begann zu bröckeln. »Verstehe doch, Albrecht! Ich muss erst einiges regeln, bevor ich mich auf den Weg machen kann. Ich werde mehrere Wochen fort sein, und meine arme Karoline wird meine Stelle auf dem Hof einnehmen müssen. Das muss sorgsam geplant werden. Je eher mir der Bursche antwortet, desto schneller kann ich nach Hundeshagen zurückreiten und Vorkehrungen treffen.«
»Was willst du wissen?«, fragte der Bürgermeister ungerührt. Bonner wandte sich an Josef: »Konntest du sehen, in welche Richtung Johann und die Hexe gegangen sind?«
Doch anstelle des Jungen entgegnete Harßdörfer aufgebracht: »Wenn er das wüsste, dann hätte ich es dir bereits im Wirtshaus gesagt.«
Bonner überhörte den Einwand des Bürgermeisters und schnauzte nun den Burschen an: »Verdammt, Josef! Erinnere dich! Hast du die Hexe wirklich erkannt, oder hast du dem Bürgermeister etwas vorgegaukelt, um dich bei ihm Liebkind zu machen?«
Der Bursche erwachte aus seiner Erstarrung. Sein Blick verfinsterte sich. »Ich habe die Hexe erkannt, so wahr ich hier stehe. Ich konnte an ihren rot glühenden Augen sehen, dass sie wusste, wer ich bin. Ich wollte mich furchtlos auf sie stürzen, als ein Schuss fiel. Alle Menschen schrien und sind auseinandergelaufen. Doch ich ließ das Weibsbild nicht aus den Augen, und deshalb konnte ich sehen, wie sie auf einem Besen in den Wald flog.«
Bonners und Harßdörfers Augen weiteten sich vor Entsetzen.
»Aber Junge«, stammelte der Bürgermeister, »warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Ich wollte dich nicht beunruhigen, Oheim«, erklärte Josef und schaute die beiden Männer forsch an. Der Bursche konnte sich noch genau daran erinnern, wie er die Frau auf dem Hülfensberg erkannt hatte und ihm dabei der Schreck durch die Glieder gefahren war. Voller Furcht hatte er sie angestarrt, und je länger sein Blick auf ihr haftete, desto mehr verwandelte sich ihr Gesicht in das einer Hexe.
»Wo war mein Sohn?«, wollte Bonner wissen, der unruhig im Zimmer hin und her ging. Josef überlegte nicht lange. »Er saß hinter der Hexe auf dem Besen. Er war der leibhaftige Teufel!«
Bonner wurde kalkweiß im Gesicht. »Johann!«, flüsterte er, und seine Stimme zitterte leicht. Dann schrie er: »Das Miststück hat ihn verzaubert! Ich werde dafür sorgen, dass sie auf dem Scheiterhaufen brennt.« Seine Augen waren hasserfüllt, und ohne ein weiteres Wort verließ er das Haus.
Erst als er außer Sichtweite war, blieb er stehen und stützte sich mit beiden Händen an einer Hausfassade ab. Er bekam kaum Luft und hätte am liebsten seinen Ärger, seine Wut, aber auch seine Trauer laut hinausgeschrien.
Mit bebender Stimme flüsterte er: »Ich werde sie finden! Ich werde die Hexe aufspüren, und dann wird sie mir büßen, dass sie mir meinen Jungen genommen hat!«
Kapitel 9
Barnabas und Servatius standen am Ufer des Mains und beobachteten, wie in Höhe des Weinmarkts mehrere kleine Boote entladen wurden. Neugierig schaute Barnabas den Hafenarbeitern zu, die Fässer auf Planken von den Booten zu den einzelnen Lagerhallen rollten. Die Hände auf dem Rücken verschränkt verfolgte er mit den Augen die kostbare Fracht. Servatius stand gelangweilt neben ihm.
»Da läuft einem das Wasser im Mund zusammen! Hier ein edler Topfen aus Spanien und da einer aus Übersee«, schmatzte der Magier und zeigte auf einzelne Fässer, in deren Holz fremd aussehende Schriften eingebrannt waren.
Servatius interessierte sich nicht für den kostbaren Wein. Sein Blick schweifte hinüber zu der Brücke, die über den Main nach Sachsenhausen führte. Schon seit Tagen versuchte er Barnabas zu überzeugen, dass sie sich eine Unterkunft in diesem Viertel suchen sollten, da dort angeblich reiche Leute lebten. In die bescheidene Herberge am Hafen, in der sie ein kleines
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