Der Hexenturm: Roman (German Edition)
sie ihn nach allen Regeln der Kunst. »Warum soll ich mir das Vergnügen entgehen lassen?«, rechtfertigte sie ihre Gier, die frei jeglicher Gefühle war, denn anschließend bekam ihr Opfer stets einen Becher mit dem Giftgebräu zu trinken, und dann musste sie nur noch abwarten.
Sobald sie die Laterne ins Fenster stellte, wusste Bartel, dass ein weiteres Opfer gefunden war. Zwar war Bartel in Lieses Augen ein Trottel, aber der Mann fraß ihr aus der Hand – auch wenn er immer mal wieder drohte, sie zu verraten. Das sagte er nur aus Eifersucht. Um Bartel zu besänftigen, durfte auch er Liese Lutz ab und zu bespringen.
Während Liese sich auf Hastenteufel auf und ab bewegte, blickte sie ihm starr in die Augen. Sie kannte die Vorzeichen, die durch die Einnahme des Tollkirchengifts auftraten – kannte deren Reihenfolge, bis schließlich der Tod eintrat. Schon viele Male hatte sie es bei ihren Opfern beobachten können und sich daran ergötzt.
Als sich endlich Hastenteufels Pupillen erweiterten und seine Augen einen eigentümlichen Glanz bekamen, erreichte sie ihren Höhepunkt und sackte über ihm erschöpft zusammen.
»Mir wird übel!«, stöhnte Hastenteufel und stieß das Weib von sich. Dann würgte er, ohne zu erbrechen. Nach einer Weile rötete sich seine Haut. Ihm wurde heiß, als ob ihn Fieber plagte. »Was ist mit mir?«, jammerte er und forderte gleich darauf: »Bring mir Wasser!«
Sein Mund schien wie ausgedörrt. Er musste husten, denn sein Rachen war trocken und kratzte. Als er spürte, dass er nur schwer schlucken konnte, beschleunigte sich sein Puls. Mit großen Pupillen starrte er Liese an, die sich seelenruhig anzog. Hastenteufel wälzte sich wild auf dem Lager hin und her und ächzte: »Was ist mit mir? Was hast du Hure mit mir gemacht?« Als ihn ein Weinkrampf schüttelte, lachte Liese laut auf und sagte: »Wehre dich nicht, mein Lieber, du hast es bald überstanden.«
Nur langsam dämmerte es Hastenteufel, dass das Weib ihn vergiftet hatte und dass er sterben würde.
»Warum?«, krächzte er.
Mit einem hochnäsigen Gesichtsausdruck setzte sich die Frau zu ihm aufs Bett und strich ihm über die heiße Wange. »Weil du mir dein Geld niemals freiwillig gegeben hättest!« Als sie sich über ihn beugte, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen, griff er mit letzter Kraft nach ihrer Kehle und drückte zu. Sie krächzte, zappelte, versuchte sich zu befreien und zerkratzte sein Gesicht. Aber das spürte Hastenteufel nicht. Das Gift schien ihn unempfindlich gegenüber dem Schmerz und zugleich zornig zu machen. Wütend drückte er stärker zu und schrie seine Wut hinaus.
Plötzlich griff er ins Leere. Aufgebracht wollte er sich aus dem Bett erheben, aber der Mann, der ins Zimmer getreten war, war schneller und schlug ihn nieder. Hastenteufel spürte das kalte Eisen des Messers nicht mehr, das seine Kehle durchschnitt. Dem Mörder spritzte ein Blutstrahl entgegen, der mit jedem Herzschlag schwächer wurde, bis nur noch ein feines Rinnsal aus der Kehle seines Opfers floss. Hastenteufel röchelte und zuckte ein letztes Mal, dann brachen seine Augen.
»Das war ein harter Brocken!«, stöhnte Liese und hielt sich den schmerzenden Hals, der sich bereits verfärbte.
»Das nächste Mal musst du mehr Tropfen nehmen!«, befahl Bartel. »Schau dir die Schweinerei an, die der Kerl hinterlassen hat.«
Liese winkte ab. »Hauptsache, er ist tot.«
»Ich hoffe, dass es sich wenigstens gelohnt hat.«
Das Weib holte den Geldbeutel aus Hastenteufels Jacke und schüttete den Inhalt neben den Toten aufs Lager.
»So viel haben wir noch nie verdient!«, freute sich Bartel. »Er muss ein reicher Händler gewesen sein.«
»Nein, er war kein Händler. Jemand hatte ihn üppig entlohnt, damit er dessen Sohn findet.«
»Warum? Ist der Junge auf der Flucht?«
»Was fragst du mich?«
»Jetzt werden weder Vater noch Sohn erfahren, dass der Auftrag nicht ausgeführt werden kann. Tragisch!«
Erstaunt blickte Liese auf. Als sie aber sah, dass Bartel gehässig dreinblickte, wusste sie, dass er nicht rührselig geworden war.
Die teuflische Dirne und ihr Mordgeselle konnten nicht ahnen, dass sie gerade einen gedungenen Mörder umgebracht hatten. Sie konnten nicht wissen, dass niemand Hastenteufels Tod bemerken, dass kein Mensch ihn vermissen würde. Auch konnten Liese Lutz und Bartel nicht ahnen, dass ihr Mord gerade einem jungen Menschen das Leben gerettet hatte. Clemens war, ohne die Gefahr für sein Leben
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