Der Hexenturm: Roman (German Edition)
die Ernte der reifen Früchte bis in den Spätherbst an.
Man glaubt nicht, wie viel Arbeit dahintersteckt, bis man in den Genuss eines Schoppens Wein kommt, überlegte Barnabas, als er die zahlreichen Weinbauern sah, die mit ihren wuchtigen, schweren Körben auf dem Rücken in den steilen Hängen herumkletterten.
Als Barnabas dann jedoch beobachtete, wie Servatius die Bauern um einige Reben anbettelte, schüttelte er missmutig den Kopf. Er ist und bleibt ein widerlicher Mensch!, dachte er bei sich und wollte schon den Blick abwenden, als er aus den Augenwinkeln heraus sah, wie eine Frau mit einem Kind auf ihn zukam. Sie blickte sich kurz zu einem der Weinbauern um, der ihr aufmunternd zunickte, und ging dann auf Barnabas zu. Neugierig betrachtete der Magier sie genauer. Das Weib schien jung zu sein, obwohl ihr Gesicht harte Züge aufwies. Auch war sie ausgemergelt, was auf stetigen Hunger und zu viel Arbeit schließen ließ. Das Kind auf ihrem Arm hatte den Kopf an ihre Schulter gebettet und nuckelte am Daumen. Barnabas schätzte es nicht älter als drei Jahre.
»Ihr seid ein Heiler?«, fragte sie geradeheraus und musterte Barnabas.
»Wer sagt das?«
»Er«, antwortete sie und wies mit dem Kopf zu Servatius, der mit mehreren Reben in der Hand auf sie zukam.
»Was willst du?«, fragte Barnabas die Frau und musste sich beherrschen, damit er seinen Groll auf Servatius nicht an der Frau ausließ.
»Mein Kind ist krank«, sagte sie leise.
»Gibt es in Trier keinen Arzt oder Heiler, zu dem du gehen kannst?« Beschämt schüttelte sie den Kopf. »Der Torwächter lässt mich mit der Kleinen nicht in die Stadt hinein, und wir haben kein Geld, damit der Arzt zu uns in die Hütte kommt«, flüsterte sie und blickte dabei zu Boden. In diesem Augenblick trat Servatius zu ihnen. Barnabas schaute ihn mit scharfem Blick an, aber das berührte den Mönch nicht.
»Warum darfst du mit deinem Kind nicht in die Stadt?«
»Sie hat Ausschlag, und deshalb befürchten die Torwächter, dass sie andere Menschen anstecken würde.«
»Lass mich den Ausschlag sehen«, forderte Barnabas sie auf und lächelte ihr aufmunternd zu. Als die Mutter das Kind auf den Boden setzen wollte, schrie die Kleine los.
»Sie hat Angst«, versuchte sie das laut weinende Kind zu entschuldigen. »Erst vor kurzem hat ein Wanderer, der angeblich heilen kann, sie unsanft berührt. Seitdem fürchtet sie sich.«
»Was hat der heilende Wanderer geraten?«, fragte Barnabas, und in seiner Stimme war leichter Spott zu hören. Er wusste, dass es viele Scharlatane gab, die verzweifelten Menschen nur das Geld aus der Tasche zogen, jedoch vom Heilen nichts verstanden.
Die Mutter versuchte mit der Hand dem Kind das Ohr zuzuhalten und flüsterte: »Der Mann sagte, dass dies die Bestrafung Gottes für sündhaftes Verhalten sei, und riet, dass ich zwölf Tage lang fünfzehn Mal das Vaterunser beten solle. Das habe ich getan, aber es brachte keine Linderung. Ich verstehe nicht, welch lasterhaftes Benehmen meine Kleine haben soll, dass Gott sie deshalb so hart bestraft«, schluchzte die Mutter. Während der ganzen Zeit kratzte sich das Kind am Kopf und zwischen den Beinchen.
Barnabas überlegte kurz.
»Auch ich müsste sie am ganzen Körper untersuchen.« Erschrocken schaute die Frau auf.
»Nur so kann ich helfen«, fügte er ernst hinzu. Die Frau blickte in die kohlschwarzen Augen des Magiers. Dann nickte sie. »Gut, ich vertraue Euch. Was würde die Untersuchung kosten? Ich habe nur wenige Kreuzer gespart.«
Barnabas konnte Angst in ihren Augen erkennen.
»Mach dir darüber keine Gedanken, Frau.«
Servatius, der stumm neben ihnen stand und sich eine Traube nach der anderen in den Mund schob, wollte bereits aufbegehren, aber Barnabas’ Blick ließ ihn schweigen.
Die Frau sprach leise auf ihr Kind ein. Langsam löste sich das Mädchen von der Mutter und setzte sich auf den Wiesenstreifen zwischen zwei Rebstockreihen.
Vorsichtig strich Barnabas dem Mädchen Strähne für Strähne die Haare zurück und besah sich dabei die Kopfhaut. Auch untersuchte er ihr Gesicht. Mit angstvollen Augen blickte die Kleine zu ihm auf. Er lächelte sie an und murmelte beruhigende Worte.
»Ich müsste jetzt zwischen ihren Schenkeln nachsehen«, erklärte Barnabas der Mutter. Als er Servatius’ Gesichtsausdruck bemerkte, sagte er zu ihm: »Du verschwindest und wartest fünf Reihen weiter.«
Missgelaunt öffnete der Franziskanermönch den Mund. Barnabas kam ihm zuvor, stand auf
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