Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Barnabas: »Gibt es in Euren ein Gasthaus?«
Sie nickte.
»Zeig meinem Begleiter den Weg«, bat er und gab Servatius einige Geldstücke. »Kauf einen Krug Wein, aber lass dir keinen Fusel andrehen.« Als das Weib und der Mönch nach draußen gingen, fragte der Henker: »Was wollt ihr von uns?«
»Wie ist dein Name?«
»Andreas Scheffer.«
»Ich heiße Barnabas und bin Magier und Heiler, und ich benötige deinen Rat, Andreas.«
Argwöhnisch blickte Scheffer auf. »Was könnte ich einem wie dir raten?«
»Du weißt, wozu wir Magier gerufen werden?«
»Ihr könnt Hexen erkennen und Schadenszauber aufheben.«
Barnabas nickte. »So ist es, Andreas. Ich bin in der Hoffnung nach Trier gekommen, dass man hier meine Dienste benötigen würde. Aber dann musste ich erfahren, dass es hier keine Hexenprozesse mehr gibt.«
»Ja, das stimmt. Die Bürger von Trier sind der Verbrennungen überdrüssig, denn vor wenigen Jahren brannten täglich die Binsenhütten. Fast jede Familie beklagte den Verlust von Frauen, die der Hexerei bezichtigt worden waren. Sogar bei den Amtmännern und wohlhabenden Bürgern wurden Hexen überführt und verbrannt. Ihre Todesurteile hatte der damalige Richter und spätere kurfürstliche Stadtschultheiß Dietrich Flade gesprochen und unterschrieben. Eines Tages wurde er selbst als Hexenmeister erkannt und dank der Folter überführt. Nachdem er seine Komplizen verraten hatte, brannte der halbe Stadtrat – einschließlich des Bürgermeisters Hans Reuland und seines Schwiegersohnes.«
Servatius kam zurück und stellte einen großen Krug gefüllt mit rotem Wein und zwei Becher auf den Tisch. Der Henker leckte sich gierig über die Lippen.
Barnabas füllte die Becher, doch bevor er Scheffer einen reichte, wollte er wissen: »Bist du bereit, all meine Fragen zu beantworten?« Sofort nickte der Henker und riss ihm den Becher förmlich aus der Hand. Nachdem er den Inhalt hinuntergekippt hatte, schloss er genussvoll die Augen und murmelte: »Welch edler Tropfen!«
Sogleich schenkte ihm Barnabas nach, nahm selbst einen kräftigen Schluck Wein und sagte: »Ich habe noch immer nicht verstanden, warum es keine Hexenprozesse mehr gibt. Das, was du mir eben berichtet hast, zeigt doch, dass Trier verseucht war von Hexen.«
Scheffel wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und zuckte dann mit den Schultern, bevor er antwortete: »Würden weiterhin Prozesse stattfinden, wäre Trier bald ausgestorben. Und wenn nicht ausgestorben, dann pleite. Die Gefängnisse waren überfüllt, und die Prozesse haben viel Geld verschlungen. Außerdem waren nicht alle auf Seiten der Richter, und nicht alle haben die Verurteilungen klaglos hingenommen. Es gab Bürger, die sich öffentlich getraut haben, gegen die Gerichte zu wettern. Ich denke, all das zusammen hat Kurfürst Metternich bewogen, weitere Hexenverfolgungen zu untersagen.«
Scheffer nahm einen kräftigen Schluck und sagte mit leiser Stimme: »Ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind. Jeden Tag, den Gott erschuf, musste ich den Verurteilten, bevor sie brannten, die Köpfe abschlagen oder sie strangulieren.«
Erschöpft fuhr er sich übers Gesicht. Als er Servatius’ Blick auf sich ruhen spürte, schimpfte er: »Ich habe mir diesen Beruf nicht ausgesucht! Kaum einer würde diesen Beruf freiwillig ergreifen, hätte er die Wahl. Der Henkersberuf wird einem in die Wiege gelegt. Er wird vererbt, ob man will oder nicht. Da wir Henker geächtet sind, können wir keinen anderen Beruf ergreifen, und so bleiben wir unter uns. Glaubt mir, an das Töten gewöhnt man sich nie!« Seine Worte klangen bitter, und er fügte hinzu: »Nicht einmal im Tod ehrt man uns! Man kann froh sein, wenn Gesinde gefunden wird, das den Leichnam eines Henkers unter die Erde bringt.«
Um den schwermütigen Mann auf andere Gedanken zu bringen, seufzte Barnabas vernehmlich. »Mir hat Trier gefallen. Ich wäre hier gerne alt geworden.«
»Was hindert dich zu bleiben? Heiler werden immer benötigt«, meinte Scheffer, während er den nächsten Becher leerte. Barnabas schüttelte den Kopf. »Heiler gibt es wie Kieselsteine in einem Flussbett. Ich bin ein Magier – das ist meine Berufung«, erklärte Barnabas und murmelte in seinen Bart: »Irgendwo im Reich muss es noch Hexen geben.«
Andreas Scheffer nickte. »Ja, die gibt es wohl noch. Der Vetter meines Eheweibs ist Henker in Westrich. Dort lodern ständig die Scheiterhaufen.«
Servatius, der bis jetzt geschwiegen hatte, fragte erregt:
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