Der Hexenturm: Roman (German Edition)
zusammen, und obwohl sie flüsterten, ahnte Barnabas ihre Entscheidung.
Sie werden mir das Kind anvertrauen wollen, um ungestört das Vermögen der Barbara Backes für die Prozesskosten einziehen zu können, überlegte er.
Der mit dem fein geschnittenen Gesicht und der sanften Stimme wandte sich ihm als Erster zu und sagte: »Wir hatten überlegt, Maria in die Obhut eines Klosters zu übergeben. Allerdings deckt das Geld der Hexe kaum die Prozesskosten, geschweige denn die Ausgaben eines Klosters. Aber wenn Ihr das Kind zu Euch nehmen würdet, soll es Euer Schaden nicht sein.«
Barnabas stellte sich dumm. »Wie meint Ihr das?«
»Wir würden Euch reichlich entlohnen, wenn Ihr das Kind mitnehmen würdet. Denn wie Ihr selbst sagt, würden in Eurer Gesellschaft die Dämonen sich dem Kind nicht nähern können.«
Barnabas lächelte in sich hinein und blickte zu der brennenden Binsenhütte hinüber, die schwarz qualmte.
Die Menschen sind so leicht zu beeinflussen. Sag ihnen, was sie hören wollen, und sie geben dir das, was du willst!, dachte er bei sich. Dann sagte er laut: »Wenn ich Euch damit helfen kann, soll mich das Mädchen gerne auf meiner weiteren Reise begleiten.«
Kapitel 22
Einige Tage vor dem Heiligen Abend kam Regina Rehmringer zu Franziska in die Küche. Erschrocken senkte die junge Frau den Blick, knickste und wünschte ihr einen guten Tag.
»Setz dich«, forderte Frau Rehmringer sie auf und nahm an dem wuchtigen, blank gescheuerten Holztisch Platz. Franziska spürte den Blick der alten Frau auf sich ruhen und hob den Kopf.
»Wie geht es dir?«
Anstatt zu antworten, fragte Franziska verunsichert: »Habe ich etwas falsch gemacht?«
Frau Rehmringer schüttelte den Schopf mit den weißen Haaren. »Nein, mein Kind! Es ist alles gut. Ich möchte nur wissen, wie es dir geht.«
»Danke, mir geht es gut«, antwortete Franziska ungläubig.
»Strampelt das Kleine kräftig?«
Franziska nickte.
»Ich kann mich gut erinnern, wie Melchior mich ständig geboxt hat.«
Als Franziska merkte, dass Regina Rehmringer wahrhaftig an ihrem Befinden Interesse hatte, sprudelten die Worte nur so aus ihr heraus. Aufmerksam hörte die alte Frau der werdenden Mutter zu. Mit glänzenden Augen sagte Franziska schließlich: »Es ist schön, mit jemandem zu reden, der weiß, wovon ich spreche. Katharina kann das nicht nachempfinden, da sie nie schwanger war. Mit den älteren Mägden traue ich mich nicht zu reden, und Johann ist ein Mann.«
Frau Rehmringer nickte. »Ich kenne das unsichere Gefühl gut, das einen während der Schwangerschaft oftmals befällt. Damals konnte ich meine Mutter um Rat fragen. Sie war mir eine große Hilfe und hat mir die Angst genommen.«
Franziskas Gesichtsausdruck wurde nachdenklich. »Es muss schön sein, wenn man mit seiner Mutter sprechen kann.«
»Erzähl mir von deinem Zuhause«, forderte Regina Rehmringer sie auf.
Franziska räusperte sich. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich bin das älteste von sieben Kindern. Unser Vater ist ein Säufer, der das Geld ins Wirtshaus trägt. Würde meine Mutter nicht mit Näharbeiten etwas dazuverdienen, hätten wir hungern müssen. Täglich gab es Streit und Schläge. Ich konnte dieses Leben nicht mehr ertragen und bin eines Nachts fortgegangen. Damit saß ein Esser weniger am Tisch.«
»Vermisst du dein Zuhause, deine Eltern und Geschwister?«
Franziska überlegte. »Nein! Es ist gut so, wie es ist. Ich habe Johann und bald das Kind, dann sind wir eine Familie.«
»Clemens erzählte mir, warum du und dein Mann das Eichsfeld verlassen musstet.«
Franziska sah erschrocken auf. Als sie jedoch den sanften Blick der Frau erkannte, beruhigte sich ihr Herzschlag. »Ich weiß, dass Clemens Euch unsere Geschichte erzählen musste. Deshalb danke ich Euch, dass wir trotzdem hier wohnen und arbeiten dürfen.«
Frau Rehmringer schwieg für einen Moment. »Ich bin weder einfältig noch dumm, Franziska. Ich weiß, dass man in diesen Zeiten schnell der Hexerei verdächtigt werden kann. Bei jedem Verdacht, auch wenn er unsinnig ist, bleibt ein Makel zurück. Deshalb habe ich dich beobachtet, Franziska, und gesehen, dass du deine Arbeit sorgfältig ausführst und man sich auf dich verlassen kann. Du bist eine ruhige, unaufdringliche Person, die keinem etwas Böses will. Deshalb können du und dein Mann auch weiterhin auf dem Gestüt bleiben. Allerdings gebe ich dir den Rat, dich vor den anderen in Acht zu nehmen. Manch einer könnte vor dir Angst
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