Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Zimmertür und ließ prüfend seinen Blick über den Gang schweifen. Als er keinen Lauscher entdecken konnte, schloss er die Tür wieder und setzte sich zurück in seinen Sessel. Verwundert beobachtete Frau Rehmringer den Pfarrer. Schließlich sagte er mit leiser, aber eindringlicher Stimme: »Ich halte Euch für eine weise und kluge Frau, und da wir uns schon seit vielen Jahren kennen, wage ich Euch Folgendes zu fragen: Könnt Ihr Euch vorstellen, Frau Rehmringer, dass Menschen unter der Folter alles gestehen, um dem Schmerz zu entgehen? Dass sie das Sonderbarste zugeben, weil sie der Tortur ein Ende setzen wollen?«
Erstaunt über diese Frage, setzte sich die Frau in ihrem Sessel auf. »Welch sonderbare Überlegung!«, antwortete sie. »Wie kommt Ihr darauf?«
Peter Schnetter rutschte näher an den Sessel der Gastgeberin heran und flüsterte: »Liebe Frau Rehmringer, ich möchte nur so viel dazu sagen, dass Gelehrte diesbezüglich bereits geheime Schriften verfasst haben. Zum Beispiel erklärt ein studierter Mann, dass Frauen, die sich selbst der Hexerei bezichtigen, krank sind und dringend ärztliche Hilfe benötigen. Ein anderer behauptet, dass man auf Grundlage von Geständnissen, die unter der Folter erwirkt wurden, kein Urteil fällen dürfe.«
Der Pfarrer konnte erkennen, wie seine Vertraute zu grübeln begann. »Könnte das heißen, dass es keine Hexen gibt?«, fragte sie schließlich. Erschrocken schaute der Pfarrer auf.
»Das wage ich nicht zu behaupten!«, antwortete er. »Man sollte ihnen jedoch verzeihen und versuchen, sie zurück in den Schoß Gottes zu führen, statt sie zu verbrennen.«
Regina Rehmringer dachte an Franziska und an die Anschuldigungen, derentwegen die junge Frau und ihr Mann aus ihrer thüringischen Heimat hatten fliehen müssen. Dann blickte sie den Pfarrer stumm an und atmete laut aus. Eine schwere Last war von ihr gewichen.
Katharina war froh, dass Frau Rehmringer an diesem Abend ihre Hilfe nicht benötigte. So konnte sie sich in ihre Kammer unter dem Dach zurückziehen, wo sie sich auf ihr Lager legte und über den Kuss von Clemens nachdachte. Verlegen fuhr sich Katharina mit dem Zeigefinger über den Mund. Sie glaubte noch immer Clemens’ Lippen zu spüren.
Als Clemens sie um ein Gespräch gebeten hatte, war ihr nicht in den Sinn gekommen, dass er ihr seine Zuneigung gestehen würde. »Was soll ich bloß tun?«, grübelte Katharina. Sie konnte nicht leugnen, dass auch sie Clemens mochte. Seit Beginn ihrer gemeinsamen Flucht hatte sie sich in seiner Nähe stets wohl gefühlt, obwohl er oft eigensinnig und mürrisch war. Sein Verhalten hatte sie nie abgeschreckt, sondern vielmehr ihr Mitgefühl für sein Schicksal geweckt. Katharina half ihm gerne und versorgte liebevoll seine Wunden. Nachdem sie sein Vertrauen gewonnen hatte, war eine besondere Freundschaft zwischen ihnen entstanden. Sie mochte ihn, dessen war sie sich sicher, aber ob das Liebe war?
Katharina wälzte sich auf ihrem Bett hin und her und fand weder Ruhe noch Antworten.
»Was soll ich bloß tun?«, flüsterte sie erneut. »Ich dachte, dass ich Burghard liebe, doch er hat mir nie ein Zeichen seiner Zuneigung gegeben. Ich weiß nicht, ob er Gefühle für mich hegt.« Burghard, das wusste Katharina, war kein Mensch, der sein Herz auf der Zunge trug. Er war ein schweigsamer Mann, der über Stunden kein Wort sprechen konnte. Diese ruhige, unaufdringliche Art war es, die Katharina an ihm liebenswert fand. Jedoch konnte die junge Frau nicht leugnen, dass sowohl Clemens als auch Burghard rechtschaffene Männer waren. Und Clemens war der erste Mann in ihrem Leben, der ihr seine Liebe gestanden hatte. Katharina dachte an ihren Lebenstraum. »Ich wollte immer Gutes tun wie die heilige Elisabeth, und dabei wäre ein Mann sicher hinderlich!« Sie verschränkte die Arme hinter ihrem Kopf und verwarf den Gedanken sogleich wieder. »Was spricht dagegen, einen Mann zu haben und dennoch Gutes zu tun? Auch Elisabeth war verheiratet und hatte Kinder. Wenn man will, kann man beides!« In Gedanken kehrte die Erinnerung an Clemens und seinen Kuss zurück und an das Kribbeln, das sie dabei gespürt hatte. Sie konnte nicht leugnen, dass es ein schönes Gefühl gewesen war.
»Aber für wen soll ich mich entscheiden? Für Burghard oder für Clemens?«
Eine innere Stimme sagte ihr: »Du weißt, dass Clemens dich will. Du weißt nicht, was Burghard für dich empfindet. Was, wenn du Clemens ablehnst und Burghard dich nicht liebt?
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