Der Hexenturm: Roman (German Edition)
Er kam frei, ging nach Brüssel und versuchte von dort aus erneut den Hexenwahn zu bekämpfen. Doch auch dort nahm man ihn wieder gefangen. Bevor er verurteilt wurde, starb Bruder Cornelius und hinterließ uns sein Werk. Er hat bisher als einziger Kirchenmann des alten Glaubens gewagt, die Einwirkung von Dämonen auf Mensch und Tier öffentlich zu bestreiten. Für ihn war der Hexenwahn nichts anderes als Torheit, und das geltende Prozessverfahren lehnte er strikt ab.«
Burghard blätterte durch die einzelnen Seiten des Buches. »Ich verstehe nicht, warum du mir das alles erzählst. Und auch nicht, warum ich hier bin, warum ihr hier seid.« Fragend blickte er auf.
»Wir haben es uns zur Pflicht gemacht, das Werk von Cornelius zu vollenden. Viele von uns sind im Reich unterwegs und versuchen die Geistlichen zu überzeugen, dass sie in ihren Dörfern gegen den Hexenglauben vorgehen sollen.«
»Aber das ist lebensgefährlich«, flüsterte Burghard.
»Wir wissen das«, erklärte ein jüngerer Jesuit. »In Trier wurden einige Mönche und Priester als Hexer verbrannt. Jedoch darf uns das nicht hindern, die Menschen über die Falschheit der Hexenprozesse aufzuklären. Was zählen ein paar wenige Opfer, wenn wir viele hundert Frauen und Männer retten können?«
Burghard nickte, dann fragte er erneut: »Was habe ich damit zu tun? Ich bin kein Mönch mehr und auch kein Gelehrter.«
»Du kannst schreiben. Nicht einfach nur deinen Namen, sondern du beherrschst die Schrift der Bücher, die du in deinem Kloster gelernt hast. Wir brauchen dich. Du sollst uns bei den Abschriften helfen. Deshalb haben wir dich aufgesucht.«
Burghards Augen nahmen einen besonderen Glanz der Freude an, der jedoch rasch wieder erlosch. »Wie soll ich heimlich Abschriften machen? Ich bin für die Schweine der Bauern zuständig, was viel Zeit in Anspruch nimmt. Außerdem teile ich meine Kammer mit mehreren Knechten.«
Ignatius lächelte. »Geh zu Pfarrer Schnetter und sage ihm, dass dich die ›vespertiliones‹ schicken. Er wird dir helfen.«
»Vespertiliones? Die Fledermäuse?«
»Wir gaben uns diesen Namen, da die Fledermaus ein kluges Tier ist, das seinen Weg im Dunkeln findet. Auch wir finden durch das Dunkel der Nacht, denn wir finden den Weg durch das Dunkel des Hexenglaubens, das der Angst und das des Misstrauens«, erklärte Ignatius mit fester Stimme.
Es war spät, als Pfarrer Schnetter seinen Besuch bei Frau Rehmringer beendete. Nachdem Katharina ihr geholfen hatte, sich zur Ruhe zu legen, verrichtete die junge Frau unnütze Arbeiten, um Clemens nicht über den Weg zu laufen. Sie blieb absichtlich im oberen Stockwerk und verzichtete sogar auf ihr Nachtmahl – aus Angst, dass Clemens in der Küche auf sie warten könnte.
Bevor Katharina zu Bett ging, musste sie im Schafstall nach dem Muttertier sehen, das sich einige Tage zuvor am Hinterbein verletzt hatte. Mehrmals täglich hatte sie seitdem die Wunde mit einer Kräutertinktur behandelt.
Kaum hatte Katharina die Stalltür geöffnet, wurde sie mit verhaltenem Geblök begrüßt. Die Schafe blickten die junge Frau verschlafen über das Gatter der Stallung an. Eine kleine Laterne, die Katharina mit sich führte, beleuchtete schwach den Weg zum Verschlag in der hinteren Ecke des Stalls, wo das Muttertier abgesondert von den anderen lag. Da Katharina stets einen Leckerbissen für das Schaf dabeihatte, kam das Tier sogleich angehumpelt. Vorsichtig schaute Katharina nach dem kranken Bein und stellte erfreut fest, dass sich über der Wunde eine trockene Kruste gebildet hatte. »Bald kannst du wieder zu deiner Herde zurück«, flüsterte Katharina und kraulte dem Schaf den Rücken.
»Ach, wäre ich jetzt an der Stelle des Schafs!«, hörte sie jemanden leise hinter sich sagen. Katharina drehte sich um und tadelte Burghard, dessen Stimme sie sofort erkannt hatte: »Warum schleichst du dich wie ein Dieb an und erschreckst mich fast zu Tode?«
»Verzeih! Ich wollte dir keine Angst machen.« Nachdenklich runzelte Katharina die Stirn, trat aus dem Verschlag und schloss sorgfältig das Türchen hinter sich. Stumm stand sie Burghard gegenüber. »Ich muss noch frisches Stroh einstreuen«, murmelte sie und drückte sich seitlich an ihm vorbei. Als sich dabei ihre Arme berührten, glaubte Katharina ein Knistern auf ihrer Haut zu spüren. Hastig ging sie in die andere Stallecke, wo das Heu gelagert wurde. Sie musste sich nicht umblicken, sie spürte auch so, dass Burghard ihr gefolgt war
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