Der Hexer - GK575 - Die Hexe von Salem
Priscyllas Stimme, aber jede Spur von Sanftmut und Liebe war daraus verschwunden. »Die Zeit des Lügens und Täuschens ist vorbei. Ich bin, was du siehst. Ich war es die ganze Zeit.«
»Aber ... aber warum«, flüsterte ich hilflos. »Warum hast du ... mein Gott, Priscylla, ich ... ich liebe dich doch ...«
Sie lachte. »Liebe?« fragte sie. »Du liebst mich? Du bist ein Narr, Robert. Weißt du denn immer noch nicht, wer ich bin?«
»Du bist ...« Es kostete mich unendliche Mühe zu sprechen. Ich wußte, daß es die Wahrheit war, und trotzdem sträubte sich alles in mir dagegen.
»Die, vor der dich dein Vater warnen wollte«, sagte Priscylla ruhig. »Du hättest auf ihn hören sollen. Er hatte recht. Es gibt einen dritten Magier.«
»Aber warum?« fragte ich verzweifelt.
»Warum?« Priscyllas Gesicht verzerrte sich. »Du fragst, warum? Du hast alles zerstört, wofür ich gelebt habe, alles, was ich aufgebaut und geplant hatte. Du bist wie ein böser Geist aus dem Nichts aufgetaucht und hast mein Lebenswerk und das der anderen zerstört. Und du fragst, warum!«
Das war nicht die ganze Wahrheit, das spürte ich. Es gab noch etwas anderes. Aber der Gedanke entschlüpfte mir, ehe ich richtig danach greifen konnte.
»Und jetzt willst du mich töten.«
»Nicht ich, Robert«, antwortete sie. »Du hast an Mächte gerührt, die du nicht einmal in tausend Jahren begreifen würdest. Du mußt den Preis dafür bezahlen.«
Ich verstand nicht, was sie meinte, wenngleich sich eine dumpfe, bedrückende Ahnung in mir breitzumachen begann. Aber Priscylla gab mir keine Gelegenheit, weitere Fragen zu stellen. Sie gab einem ihrer Begleiter einen Wink. Der Bursche trat mit einem raschen Schritt hinter mich, packte mein Handgelenk und drehte mir den Arm auf den Rücken. Ich ließ es geschehen, ohne die geringste Gegenwehr. Jeder Gedanke an Widerstand war in mir erloschen. Ich fühlte nichts mehr. Nichts, was ich mit Worten beschreiben konnte.
Halbwegs hatte ich damit gerechnet, daß sie mich zu dem Altarstein in der Mitte der Halle schleifen würden, aber der Kerl drehte mich statt dessen mit einer groben Bewegung herum und stieß mich vor sich her aus der Tür. Priscylla und ihre Begleiter folgten uns.
Wir näherten uns dem Hafenbecken. Die Kutsche war mittlerweile verschwunden, und der Wind schien kälter geworden zu sein. Der Mond hatte sich hinter tiefhängenden schwarzen Wolken verkrochen, und es war so dunkel, daß ich von meiner Umgebung nur Schatten wahrnehmen konnte. Ein fauliger Geruch stieg von der Wasseroberfläche empor.
Der Bursche, der mich gepackt hielt, versetzte mir einen derben Stoß, der mich ein paar Schritte nach vorne taumeln ließ. Ich glitt aus, fiel auf die Knie und warf mich im letzten Moment zur Seite, um nicht über den Kai zu stürzen und ins Wasser zu fallen.
Als ich mich umwandte, waren Priscylla und ihre Begleiter ein paar Schritte zurückgewichen. Sie bildeten einen weiten, lockeren Halbkreis um mich und das Hafenbecken hinter mir. Aber ich war fast sicher, daß sie diesen Abstand nicht nur zu mir hielten.
Priscylla hob in einer langsamen, beschwörenden Geste die Hände, legte den Kopf in den Nacken und begann lautlose Worte mit den Lippen zu formen. Eine spürbare Spannung lag plötzlich in der Luft. Ich horte, wie das Wasser hinter mir zu rauschen begann, als stiege etwas Großes, Gewaltiges vom Grunde des Hafenbeckens hervor, aber ich wagte es nicht, mich umzublicken.
Fast eine Minute lang blieb Priscylla reglos in dieser seltsamen Haltung stehen, ehe sie die Hände senkte und mich wieder ansah. Die ganze Szene kam mir auf bedrückende Weise bekannt vor. Angst bohrte sich wie ein dünner Schmerz in meine Brust.
»Was ... was hast du vor?« fragte ich.
»Was getan werden muß, wird getan«, erwiderte Priscylla steif. Das Wasser hinter mir rauschte stärker. Mit klopfendem Herzen wandte ich den Kopf und blickte auf das einen Meter unter mir liegende Hafenbecken herab. Auf der schwarzen Oberfläche des Wassers bildeten sich Wirbel und Strudel. Ein gewaltiger, bizarr verzerrter Schatten zeichnete sich in der Tiefe ab und begann allmählich zu wachsen.
»Das ... das Ungeheuer«, keuchte ich. »Das Ungeheuer von Loch Shin.«
Priscylla nickte. »Du selbst warst es, der es um sein Opfer betrog«, antwortete sie. »Doch es wird sich holen, was ihm zusteht.«
»Du hast es ... hierhergerufen?« stammelte ich. »Du hast diese Bestie nach London gebracht?«
»Nicht gerufen, Robert.«
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