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Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten

Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten

Titel: Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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Ungeheuer, die niemandem Schaden zufügen konnten und erschlagen wurden, wo man sie sah. Eine Laune der Natur, ohne die Fähigkeit, in dem gnadenlosen Kampf der Evolution lange zu überdauern. Bis zu diesem Augenblick. Der Mann war mit einer Mietkutsche gekommen, aber er hatte den Wagen lange, bevor er den Block erreichte, verlassen und fortgeschickt, um die letzten paar hundert Schritte zu Fuß zu gehen.
    Der Kutscher hatte ihm einen sonderbaren Blick zugeworfen, als er mit einer Zehn-Pfund-Note bezahlte und sich herumdrehte, ohne auf sein Wechselgeld zu warten, aber er war sofort abgefahren, froh aus der Gesellschaft dieses sonderbaren, schweigsamen Mannes, den eine seltsame Aura des Unheimlichen und der Gefahr zu umgeben schien, entkommen zu können.
    Niemand hatte den Fremden gesehen auf dem Weg hierher. Lautlos war er von Ruine zu Ruine gehuscht, auf der Suche nach etwas, von dem er selbst nicht wirklich wußte, was es war, das er aber erkennen würde, sobald er es fand.
    Schließlich hatte er das Haus betreten. Nachdem er Zimmer für Zimmer durchsucht hatte, war er hier hinauf gelangt, in den zerfallenen Dachstuhl. Dort hatte er die Motten entdeckt. Lange, Stunde um Stunde, war er so stehengeblieben, eine Statue, die zur Reglosigkeit erstarrt war, bis er selbst zu einem Teil dieser staubigen, verfallenen Umgebung geworden zu sein schien. Und doch tat er etwas. Etwas ging mit diesen kleinen, harmlosen Tieren vor sich. Sie spürten es nicht, und ihren primitiven Nervensystemen war die Veränderung nicht einmal bewußt. Sie hatten nichts, was man mit einem Gehirn vergleichen konnte oder was gar in der Lage gewesen wäre, zu denken. Aber als die Veränderung abgeschlossen war, waren sie keine harmlosen kleinen Schädlinge mehr.
    Sie waren zu Killern geworden.
    Der Fremde ging, ehe die Sonne den Horizont erreicht hatte, und wieder nahmen die Motten keine Notiz von ihm, denn er gehörte zu einer Welt, die für die primitiven Sinne der kleinen Insekten auf ewig bizarr und fremd und unverständlich bleiben mußte. Er würde wiederkommen, an diesem Abend und auch an den nächsten, aber auch das würden sie nicht bemerken.
    Für die Motten hatte sich nichts geändert. Die Welt war, wie sie immer gewesen war: groß, unverständlich und voller Gefahren und Beute.
    Und doch waren sie zu etwas ganz anderem geworden...
    Als sich das nächste Mal die Dämmerung über die Stadt senkte und eine Heerschar winziger häßlicher Motten aus dem Haus aufstieg, um in der näheren Umgebung nach Nahrung und Beute zu suchen, teilte sich ein winziger Teil der Tiere vom Hauptschwarm ab und flog lautlos nach Westen.
    Mit ihnen flog der Tod.

    * * *

    Mit der Dämmerung hatte sich auch über das Haus Stille und Dunkelheit gesenkt, eine Dunkelheit, die bedrückend wirkte, und eine Stille, die mich an das Schweigen eines steinernen Mausoleums erinnerte.
    Ich machte mir schwere Vorwürfe. Howard hatte die Bibliothek verlassen und war in sein Zimmer gegangen, und ich hatte ihn bisher nicht wieder gesehen; auch nicht zum Essen.
    Charles, mein neuer Majordomus und – solange ich noch nicht genug Personal eingestellt hatte – in gleicher Person auch Kutscher, Butler und Küchengehilfe, hatte mehrmals an seine Tür geklopft und ihn zum Essen gerufen, aber er war nicht gekommen.
    Jetzt stand ich vor der Tür des kleinen Gästetraktes, den Rowlf und er bewohnten; aber ich stand schon eine ganze Weile dort, fünf, vielleicht sogar zehn Minuten, ohne daß ich bisher den Mut gefunden hätte, anzuklopfen.
    Nachdem Howard gegangen war, war mir ganz allmählich klar geworden, wie schwer ihn meine Worte gekränkt haben mußten.
    Wenn Howard nicht mein Freund war, dann war das Wort Freundschaft bedeutungslos. Er hatte ein halbes Dutzend Mal sein Leben riskiert, um das meine zu retten. Hätte er sich nicht um mich gekümmert – einen Fremden, mit dem ihn nichts weiter verband, als die Tatsache, daß dieser zufällig der uneheliche Sohn seines verstorbenen Freundes war – dann könnte er vermutlich heute noch sicher in seiner kleinen Pension im Norden Londons sitzen und Gott einen guten Mann sein lassen.
    Aber er hatte es nicht getan, sondern mich mit offenen Armen empfangen und mich wie einen Sohn aufgenommen. Er hatte seine gesicherte Existenz und sein Leben als zurückgezogener Sonderling, den man vielleicht belächelte, dem aber niemand etwas Böses wollte, für das Leben eines Gejagten eingetauscht.
    Und ich dankte es ihm, indem ich ihm mißtraute! Ich

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