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Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten

Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten

Titel: Der Hexer - NR06 - Labyrinth der weinenden Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
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hatte. Nun – warum nicht? Sie war sechsundzwanzig und nicht gerade häßlich, und er... wenn sie sich den viel zu großen Mantel und den unmöglichen Zylinder wegdachte, sah er bestimmt gut aus.
    Aber dann verscheuchte sie den Gedanken. Nein – es ging nicht. Sie war hierher nach London gekommen, um sich in der besseren Gesellschaft nach oben zu dienen. Hausdame, vielleicht sogar Gesellschafterin irgendeiner reichen alten Glucke, das war es, was sie werden wollte.
    Vorerst. Später würde man sehen... Es gab genug alleinstehende junge Männer in der Londoner Gesellschaft. Nein. Ein Mietkutscher paßte nicht zu ihr. Auch, wenn er noch so gut aussah.
    Sie schüttelte den Kopf, griff nach ihrer Tasche und wandte sich mit einem kecken Hüftschwung um. Aber der Kutscher hielt sie noch einmal zurück. Gloria fuhr unmerklich zusammen, als sie spürte, wie hart sein Griff war.
    »Vielleicht sollte ich doch besser warten«, sagte er, deutlich verlegen und ohne sie anzusehen. »Es geht mich ja nichts an, aber – ich würde da nicht hinein gehen.«
    Gloria streifte seine Hand ab. »Warum nicht?« fragte sie. »Sie haben doch selbst gesagt, es wäre eine der vornehmsten Adressen der Stadt, oder?«
    »Man erzählt sich komische Dinge über dieses Haus«, fuhr der Mann fort, als hätte er ihre Worte gar nicht gehört. »Es hat eine ganze Weile leergestanden, und die Leute, die jetzt dort wohnen, kennt hier niemand. Und vor ein paar Tagen soll es eine wilde Schießerei gegeben haben.«
    Und? dachte Gloria. Was machte das? Wer sich ein solches Haus leisten konnte, mußte reich sein. Nicht vermögend, sondern reich. Sie wiederholte das Wort ein paarmal in Gedanken und genoß seinen prickelnden Klang.
    »Ich werde hier warten«, fuhr der Kutscher fort, als er ihr Schweigen registrierte und falsch auslegte. »Wenn Sie in einer Stunde nicht wieder da sind, verschwinde ich, und Sie können mich vergessen.«
    »Aber kommen Sie nicht auf die Idee, daß ich Ihnen den Verdienstausfall bezahlen soll«, sagte Gloria spöttisch. »Meinetwegen warten Sie,... äh...«
    »Ronald«, sagte der Kutscher. »Ron, für meine Freunde.«
    Gloria nickte. »Gut, Ron. Eine Stunde.«
    Der Kutscher lächelte, zog sich mit einem kraftvollen Ruck auf den Kutschbock hinauf und ließ die Zügel knallen. Gloria sah ihm nach, bis der Wagen ein kurzes Stück die Straße hinunter gefahren und wieder zum Halten gekommen war; weit genug, daß er vom Haus aus nicht direkt gesehen werden konnte, aber so, daß er seinerseits das Tor und einen Teil des dahinterliegenden Gartens gut im Blick hatte.
    Warum nicht? überlegte sie. Wenn sie die Stelle nicht annahm, war Ron vielleicht nicht der Schlechteste, um sich mit ihm die Zeit zu vertreiben. Bis sie etwas Besseres gefunden hatte.
    Sie nahm ihre Tasche auf, öffnete das Tor und trat mit einem entschlossenen Schritt hindurch. Das Haus und der Garten – eigentlich war es schon eher ein kleinerer Park – waren dunkel, nur hinter einem Fenster hoch oben im zweiten Stock brannte ein einsames Licht.
    Gloria ging langsamer, als nötig gewesen wäre, aber sie sah sich dabei aufmerksam um. Das Haus wirkte sehr alt, wie Ron gesagt hatte, aber es war – genau wie der Garten – sehr gepflegt. Und es sah nach Geld aus. Nach sehr viel Geld. Es gefiel ihr.
    Irgend etwas berührte ihr Gesicht.
    Gloria blieb abrupt stehen, sah sich erschrocken nach beiden Seiten um und hob die Hand an die Wange, wo sie die Berührung gespürt hatte. Es war nicht viel mehr als ein flüchtiger Hauch gewesen, kaum spürbar. Vielleicht ein Insekt, das im Dunkeln die Orientierung verloren hatte und gegen sie geprallt war.
    Das junge Mädchen runzelte die Stirn, packte seine Tasche fester und ging weiter.
    Sekunden später spürte sie eine weitere Berührung, ein wenig fester als beim ersten Mal, und diesmal glaubte sie etwas zu sehen: einen kleinen, verschwommenen Schatten, der trunken vor ihrem Gesicht auf und ab torkelte und blitzschnell verschwand, als sie die Hand hob und danach schlug.
    Ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. Für einen ganz kurzen Moment spürte sie nagende Furcht, aber sie vertrieb das Gefühl, schalt sich in Gedanken selbst eine dumme Ziege und blinzelte aus zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit. Es gab eine Menge Dinge, die man Gloria nachsagen konnte – aber Feigheit gehörte nicht dazu.
    Irgendwo zwischen ihr und dem sorgsam gestutzten Rhododendronbusch rechts neben dem Weg bewegte sich etwas; ein Spiel

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