Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich

Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich

Titel: Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene
Vom Netzwerk:
gestehen muß. Sie werden es ohnehin erfahren, wenn sie mit uns nach St. Aimes fahren, und –«
    »Sie brauchen nichts zu sagen, Robert«, unterbrach sie mich, plötzlich ebenso ernst wie ich. Ein neuer, sonderbarer Ausdruck war in ihren Augen erschienen. »Ich weiß von Ihrem Vater, Robert«
    »Sie... wissen?« wiederholte ich verstört.
    Sie nickte, plötzlich ganz gönnerhafte Mutter. »Aber selbstverständlich, Junge«, sagte sie. »Jeder hier in London weiß, wer Ihr Vater war – Roderick Andara, der Hexer, nicht?« Sie schüttelte den Kopf, als sie mein Erschrecken bemerkte, und fuhr noch immer im gleichen, sanften Ton, fort: »Ihr Vater war drüben in den Staaten ein berühmter Mann, und wir hier in London leben nicht hinter dem Mond. Aber sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Niemand trägt Ihnen nach, was Ihr Vater getan hat.«
    »Sie wissen, von... von seinem... seinem Geheimnis?« wiederholte ich verstört. Ein Eimer eiskalten Wassers, der urplötzlich über meinem Kopf ausgegossen worden wäre, hätte mich nicht mehr erschrecken können als dieses plötzliche Eingeständnis.
    »Aber natürlich«, sagte sie, trat noch weiter auf mich zu und hob die Hand, als wolle sie meine Wange streicheln. Ich wich ein Stück zurück.
    »Schauen Sie, Robert, niemand hat das gut gefunden, was Ihr Vater tat. Aber Sie leben lange genug hier, um zu wissen, wie unsere Philosophie ist – leben und leben lassen. Andara war sicher ein begabter Mann, der es verstanden hat, die Menschen drüben in Amerika mit seinen Taschenspielertricks zu verwirren. Ich glaube, er ist sogar ein bißchen berühmt geworden. Aber wissen Sie – nein«, verbesserte sie sich selbst, »das können Sie ja gar nicht wissen – ich denke, nach allem, was ich über ihn und auch Sie, Robert, erfahren habe, hat er wirklich ein gewisses magisches Talent besessen. Zumindest war er ein Medium, sonst wäre es ihm kaum gelungen, seine Zuschauer so perfekt zu täuschen. Und Sie haben dieses Talent geerbt, Robert.«
    »Mein Vater?« murmelte ich, hin und her gerissen zwischen vorsichtiger Erleichterung und dem immer stärker werdenden Gefühl, lauthals loslachen zu müssen. »Sie glauben, daß er ein...«
    »Ein Medium war, ja«, führte Lady Audley den Satz zu Ende. »So wie Sie, mein Junge.«
    Abrupt drehte ich mich wieder und fuhr fort, den Inhalt der Schublade von links nach rechts und wieder zurück zu sortieren. Lady Audley hätte das verräterische Zucken meiner Mundwinkel garantiert falsch gedeutet. Dabei war die Sache nicht halb so komisch wie sie mir im Moment noch vorkam. Es würde mehr als nur Probleme geben, wenn wir den Friedhof von St. Aimes erreichten und dort auch nur einen Bruchteil dessen vorfanden, was ich befürchtete.
    Es wer mir noch immer nicht gelungen, die losen Fäden miteinander zu verknüpfen – aber irgend etwas sagte mir, daß das Geschehen hier im Hause und das Schicksal von Lady Audley McPhaersons Nichte in direktem Zusammenhang miteinander standen.
    Ich war heilfroh, als Howard schließlich an meine Tür klopfte und mich ungeduldig aufforderte, mich zu beeilen. Ungeduldig ließ ich die Lade zugleiten, wandte mich um und ging an Lady Audley vorbei zur Tür. Besser gesagt; ich wollte es. Ich streifte ihren Arm, als ich an ihr vorüberging; nicht sehr heftig und nur für den Bruchteil einer Sekunde. Aber für einen unendlich kurzen Moment berührte meine Hand ihre nackte Haut, und –
    Es war wie das Überspringen eines elektrischen Funkens an zwei unterschiedlich geladenen Polen: schnell, heiß und unglaublich kraftvoll. Lady Audley stieß einen kleinen, fast komisch klingenden Schrei aus, schlug die Hand vor den Mund und taumelte rücklings gegen die Tischkante; gleichzeitig hatte ich das Gefühl, einen Schlag zwischen die Schulterblätter und gleich darauf zwischen die Augen zu bekommen. Der Raum verschwamm vor meinem Blick, meine Gedanken machten sich selbständig und begannen wie wild im Kreis zu hüpfen, und für einen winzigen Augenblick flackerte ein Schemen zwischen mir und dem runden Gesicht Lady Audleys, zu schnell, um es genau zu erkennen, aber auch zu deutlich, um eine reine Einbildung zu sein.
    Ich merkte erst, daß ich auch geschrien hatte, als die Tür mit einem harten Ruck aufgestoßen wurde und Howard hereingestürmt kam, gefolgt von einem grimmig dreinblickenden Rowlf.
    »Was ist passiert?« keuchte Howard. »Robert, Lady McPhaerson – was geht hier vor?«
    Weder Lady Audley noch ich antworteten.

Weitere Kostenlose Bücher