Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich
wahr?«
Sie blinzelte. Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf ihre übermüdeten Züge und erlosch wieder. »Das ist Ihr gutes Recht, Robert«, fuhr sie fort. »Aber seit heute nacht sollten Sie wissen, daß es mehr ist als ein Spaß. Vielleicht war es das, bisher. Aber Sie sind ein Medium, auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen.«
Ich schwieg einen Moment, während Lady Audley sichtlich den Schrecken genoß, den ihre Worte für mich bedeuten mußten. »Wissen Sie, Lady Audley«, sagte ich schließlich, »es gibt da etwas, was ich Ihnen erklären muß...«
Howard begann zu husten.
»Warum finden Sie sich nicht einfach damit ab, mein lieber Robert«, sagte Lady Audley. »Ich weiß, wie schwer es Ihnen fallen muß, aber es gibt so etwas wie Geister und Übersinnliche Dinge. Wenn Sie älter werden, werden Sie noch begreifen, was ich meine. Schauen Sie – die meisten meiner Freunde halten mich für verrückt, und ich lasse sie in diesem Glauben. Aber ich bin es nicht, ganz und gar nicht.«
»Lady Aud-« begann ich erneut, wurde aber sofort wieder von ihr unterbrochen.
»Sagen Sie jetzt nichts, Robert, sondern hören Sie einfach zu«, sagte sie gönnerhaft. »Ich begreife nur zu gut, wie schwer es Ihnen fällt, meinen Worten Glauben zu schenken. Für Sie ist die Welt in Ordnung. Aber glauben Sie mir, die Geister sind so real wie Sie und ich. Meinetwegen lachen Sie mich aus, doch seien Sie so nett und hören Sie zu.«
»Aber Lady Audley«, sagte ich, der Verzweiflung nahe. »Ich halte Sie ganz und gar nicht für Verrückt. Im Gegenteil. Sie können nicht wissen, daß –«
»Warum hältst du nicht den Schnabel und hörst einfach zu?« unterbrach mich Howard. »Vielleicht ist es ja wirklich wichtig, Robert.«
Ich gab auf.
Lady Audley warf Howard einen dankbaren Blick zu. »Ich danke Ihnen, Mister Phillips«, sagte sie, und fügte – nach einem übertriebenen geschauspielerten Verziehen der Nase – hinzu: »Übrigens – was rauchen Sie für einen Tabak?«
»Warum?« fragte Howard.
»Er riecht nicht besonders gut«, sagte Lady Audley. »Um ehrlich zu sein, er stinkt nach verbrannter Ratte.«
Howard schluckte, während ich mit letzter Kraft ein Grinsen unterdrückte. Gottlob kam in diesem Moment Rowlf mit einer Kanne frisch aufgebrühtem Kaffee zurück, und Lady Audley schwieg, bis er eingeschenkt und das Zimmer wieder verlassen hatte. Danach leerte sie schweigend hintereinander drei Tassen, ehe sie sich mit einem genußvollen Seufzer zurücksinken ließ.
»Warum sind Sie hier, Mylady?« begann Howard steif. »Doch sicher nicht nur, um Rowlfs Kaffee zu genießen.«
Ich sah ihn warnend an, aber Lady Audley schien seine Worte nicht übelzunehmen. »Natürlich nicht, Mister Phillips«, sagte sie. »Mein Überfall hat mit dem zu tun, was gestern abend auf der Seance geschehen ist.« Lady Audleys Stirn umwölkte sich. »Ich möchte Sie um einen Gefallen bitten, Robert. Einen sehr großen Gefallen, wie ich gleich vorwegschicken muß. Wahrscheinlich werden Sie mich hinterher für völlig verrückt halten, aber ich flehe Sie an, einer alten Frau zu vergeben.«
»Nur zu«, sagte ich. »Nach dem, was heute nacht geschehen ist, erschüttert mich nichts mehr.«
»Auch nicht, wenn ich Sie bitte, mich nach St. Aimes zu begleiten?« fragte Lady Audley.
»St. Aimes?« echote ich.
»Der Ort, wo Cindy begraben liegt«, erklärte sie leise. »Ich möchte, daß Sie mit mir dorthin gehen, Robert. Genauer gesagt, zum Friedhof von St. Aimes.«
Ich muß sie angestarrt haben, als zweifele ich an ihrem Verstand, denn sie fügte hastig hinzu: »Ich weiß, was Sie jetzt denken, Robert. Aber ich flehe Sie an, helfen Sie mir.«
»Warum?« fragte Howard.
»Warum?« Lady Audley kreischte fast. »Das fragen Sie noch, nach dem, was Sie selbst heute Nacht erlebt haben, Sie... Sie... Sie Amerikaner, Sie?«
Howards Mundwinkel zuckten. Aber er blieb – zumindest äußerlich – ernst. »Sie mißverstehen mich, Mylady«, sagte er und stieß eine Qualmwolke in ihre Richtung. »Im Gegensatz zu Robert bin ich mir der Tatsache bewußt, daß Ihre kleinen Seancen alles andere als eine harmlose Spielerei sind. Das war auch der Grund, aus dem ich dagegen war.«
»Dann sollten Sie verstehen, was ich in St. Aimes möchte«, erwiderte Lady Audley heftig. Plötzlich, und ohne daß ich mir erklären konnte, warum, war sie voller Feindseligkeit. »Cindy ist in Gefahr. Sie haben gehört, wie sie mich um Hilfe angerufen hat.«
»Cindy«, erklärte
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