Der Hexer - NR09 - Das Mädchen aus dem Zwischenreich
Howard sanft, »ist seit zwanzig Jahren tot, Mylady.«
Lady Audley schluckte hörbar. Ihr Gesicht wurde noch blasser. »Das weiß ich, Sir«, antwortete sie steif. »Aber ihre Seele ruft mich um Hilfe. Sie ist in Not. Vielleicht sind Sie als Amerikaner nicht daran gewöhnt, von Dingen wie einer unsterblichen Seele zu reden, aber wir sind hier nicht in den Staaten, sondern in einem zivilisierten Land, und wir wissen die alten Werte zu würdigen.«
»Howard wollte Ihnen sicher nicht zu nahe treten, Mylady«, sagte ich hastig. »Aber trotzdem – was glauben Sie dort erreichen zu können?«
»Ich muß ihr helfen«, sagte Lady Audley heftig. »Aber ich brauche Sie dazu, Robert.«
»Ich? Aber was könnte ich –«
»Überlassen Sie das ruhig mir, mein Junge«, unterbrach sie mich. »Ich sagte es schon einmal, und ich sage es wieder: Sie sind ein Medium, sogar ein ganz außergewöhnlich begabtes Medium, Robert. Wir müssen nach St. Aimes. Cindy braucht meine Hilfe. Und ich glaube, daß Sie mich dabei unterstützen können. Nun?«
Ich schwieg einen Moment, sah erst sie, dann Howard und schließlich die vermeintliche Standuhr an, die in geradezu unverschämter Harmlosigkeit an der Wand hinter mir thronte. Für einen Moment glaubte ich, ein leises, schabendes Kratzen durch das fingerdicke Eichenholz zu hören. Ich konnte das Gefühl nicht begründen – aber die Ahnung, daß die Ereignisse der Nacht in direktem Zusammenhang mit der verunglückten Seance standen, wurde immer drängender.
Schließlich löste ich meinen Blick von der Uhr, wandte mich an Lady Audley und starrte sie abermals sekundenlang an, ohne etwas zu sagen.
Nach einer Weile lächelte sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Ich habe mich erkundigt«, sagte sie. »Der nächste Zug geht um acht Uhr fünfzehn.«
»Worauf warten wir dann noch?« fragte Howard.
* * *
Während im Haus die Dienerschaft allmählich erwachte und die Stille der Nacht den noch müden Geräuschen des neuen Tages wich, trafen Howard und ich die letzten Reise Vorbereitungen. Viel gab es ohnehin nicht zu tun; obgleich die letzten Wochen beinahe mißtrauenerweckend friedlich verlaufen waren, hatten Howard und ich es uns zur Angewohnheit gemacht, immer einen Koffer mit dem nötigsten Reisegepäck griffbereit zu haben; desgleichen eine eiserne Reserve an Bargeld und Papieren, um auch für einen überraschenden Aufbruch gerüstet zu sein.
Auch Lady Audley hatte ihren Kutscher unter einem Vorwand weggeschickt und ihm aufgetragen, zu Hause irgend etwas von einem Telegramm zu erzählen, das sie für einige Tage fortrief; eine recht fadenscheinige Ausrede, die aber ihrem Zweck dienen mochte. Jetzt war sie bei mir – in meinem Schlafzimmer, wohlgemerkt – sah mir zu, wie ich die letzten Kleinigkeiten zusammensuchte und redete dabei ununterbrochen. Nachdem wir uns bereit erklärt hatten, sie zu begleiten, schien der Bann gebrochen; Lady Audley hatte endgültig alle Hemmungen über Bord geworfen und sprudelte alles hervor, was sie über Magie, Geisterbeschwörungen und Okkultes nur wußte; und das war eine Menge.
Das meiste davon war ein geradezu gotteslästerlicher Blödsinn.
»Wissen Sie, Robert«, sagte sie gerade, »es gibt tatsächlich so etwas wie einen Astralleib, auch wenn die meisten sogenannten normal denkenden Menschen nicht daran glauben.« Sie lächelte geheimnisvoll. »Jedenfalls behaupten sie, es nicht zu tun. Aber im Innersten glauben sie alle daran, bloß sind wir ja heutzutage so aufgeklärt und zivilisiert, daß wir nicht mehr zugeben können, an okkulte Dinge zu glauben.« Sie wälzte ihre gut zwei Zentner ein Stück näher und legte den Kopf in den Nacken, um mir ins Gesicht blicken zu können.
»Sie sind da selbst ein gutes Beispiel, mein lieber Junge«, fuhr sie mit einem Verschwörerblinzeln fort. »Sie sind ein sehr begabtes Medium. Sie wissen es nur noch nicht.«
»So?« machte ich und tat so, als suche ich in einer Schublade. Sie enthielt absolut nichts von Bedeutung, aber Lady Audley begann langsam, mir auf die Nerven zu gehen; ich dachte insgeheim an die zweistündige Bahnfahrt, die ich zusammen mit ihr durchzustehen hatte, und glaubte Howards schadenfrohes Grinsen schon jetzt zu sehen.
»O ja«, sagte Lady Audley bestimmt. »Sie werden es noch besser verstehen, Junge. Später, wenn Sie älter und erfahrener sind.«
Ich drehte mich betont langsam zu ihr herum und sah sie an. »Lady Audley«, sagte ich ruhig. »Es gibt da etwas, was ich Ihnen
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