Der Hexer - NR14 - Dagon - Gott aus der Tiefe
ich nach einer winzigen Pause hinzu, »haben Sie versucht, mich umzubringen?«
»Nicht Sie«, antwortete die Frau. »Ihn. Aber Sie sind nicht er.«
Verwirrt schüttelte ich den Kopf, stand vollends auf und trat rasch einen Schritt zurück. »Hören Sie, Miss –«
»Borden«, antwortete die dunkelhaarige Frau. »Several Borden.«
Ich nickte. »Miss Borden. Ich weiß nicht, wen Sie meinen. Ich möchte nur wissen, warum Sie versucht haben, mich zu töten. Ist das Ihre Art, Fremde zu empfangen?«
Wenn Several Borden meinen schwachen Versuch, Humor zu demonstrieren, überhaupt bemerkte, so reagierte sie nicht darauf. Sie starrte mich nur an, stand dann plötzlich und mit einer so raschen Bewegung auf, daß ich instinktiv ein weiteres Stück zurückwich, und blickte zum Meer hinab.
»Ich habe auf ihn gewartet«, murmelte sie. »Aber er ist nicht gekommen. Ich habe versagt.« Plötzlich, ganz warnungslos, begann sie zu schluchzen, drehte sich herum und warf sich gegen mich, diesmal aber nicht mehr, um mich anzugreifen, sondern um das Gesicht an meiner Brust zu verbergen und hemmungslos zu weinen.
Hilflos ließ ich sie eine Weile gewähren, dann legte ich behutsam die Hände auf ihre Schultern, schob sie ein Stück von mir fort und sah ihr in die Augen.
»Beruhigen Sie sich«, sagte ich. »Sie sind nicht mehr in Gefahr. Es ist alles gut.«
Meine Stimme wurde immer leiser, aber es waren auch nicht die Worte, auf die es ankam. Ich spürte ihre Erregung, den grenzenlosen Schmerz, der wie ein vergifteter Pfeil in ihrer Seele wühlte, die Verzweiflung, die stärker war als jedes andere Gefühl in ihr, und so behutsam ich konnte, drang ich in ihr Bewußtsein ein und sandte dabei beruhigende Impulse aus. Es dauerte lange, denn ich war in solcherlei Dingen nicht sehr geübt; ich habe seit jeher eine fast panische Furcht davor empfunden, in den Geist eines anderen Menschen einzudringen, selbst, wenn es nur war, um ihm zu helfen. Es gibt Bereiche der menschlichen Seele, die niemanden etwas angehen, ganz gleich, unter welchen Umständen. Aber ich spürte auch, daß ihre Verzweiflung besonderer Natur war. Es war ein Gefühl solcher Macht, wie ich es selten zuvor gespürt hatte. Ich war sicher, daß sie sterben würde, wenn ich sie sich selbst überließ. Ich war in Schweiß gebadet, als sich Severals Atem langsam beruhigte. Ihre Tränen versiegten ganz allmählich, und wie in einer bizarren Rückkoppelung fühlte ich plötzlich einen Hauch ihrer eigenen Verzweiflung in mir. Dann war es vorbei; sie hob den Blick, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen und versuchte zu lächeln, brachte aber nur eine Grimasse zustande. Für den Moment hatte sie ihren Schmerz vergessen, das wußte ich. Aber er war noch da, tief in ihr, schlafend. Er würde wiederkommen. Bald.
»Was... was haben Sie getan?« fragte sie stockend.
»Nichts«, antwortete ich. »Nichts, was jetzt wichtig wäre. Ist alles wieder in Ordnung?«
Für eine halbe Sekunde erwachte der Schmerz wieder in ihren Augen, aber dann nickte sie. Trotzdem klang ihre Stimme matt und niedergeschlagen, als sie antwortete: »Ja. Ich... o mein Gott, ich habe versucht, Sie umzubringen!«
»Nicht mich«, antwortete ich rasch. »Ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort.« Ich lächelte, drehte mich halb herum und sah auf die See herab, wie Several zuvor. Aber mit Ausnahme einer gewaltigen schwarzen Fläche vermochte ich nichts zu erkennen. Wenn Several mich wirklich von hier oben aus gesehen hatte, mußte sie weitaus bessere Augen haben als ich.
»Ich... ich dachte, Sie wären einer von ihnen«, stammelte Several. »Es... es tut mir leid. Ich... ich wollte nicht...«
»Einer von ihnen? Wer sind sie?«
Severals Mundwinkel begannen zu zucken. »Sie haben meine Tochter umgebracht«, flüsterte sie. »Sie... sie haben mir meine Jennifer weggenommen. Sie haben sie getötet.« Ihre Stimme war ganz kalt. Da war nichts von dem Haß und Zorn, die ich zu hören erwartet hatte. Nicht einmal Verbitterung. Nur Kälte.
»Warum erzählen Sie mir nicht, was geschehen ist?« fragte ich. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
Several schüttelte den Kopf. »Niemand kann mir helfen«, flüsterte sie, viel weniger an mich als zu sich selbst gewandt. »Sie ist tot. Sie haben sie ermordet.«
»Und deshalb wollten Sie mich töten?« fragte ich leise. »Weil Sie dachten, ich wäre einer von den Männern, die Ihre Tochter getötet haben?«
»Sie sind keine Männer!« antwortete
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