Der Hexer - NR14 - Dagon - Gott aus der Tiefe
gewaltiger steinerner Deckel auf den Rand eines Sarkophages krachen mochte. Trotz allem war er freundlich behandelt worden; weniger wie ein Gefangener, als vielmehr wie ein Gast; ein gern gesehener Gast noch dazu.
So ähnlich, glaubte er sich zu entsinnen, waren auch Nemos Worte gewesen.
Der Gedanke an das schmale, von einem überdimensionierten Vollbart sonderbar in die Länge gezogene Gesicht Nemos weckte den Zorn wieder in ihm. Während der letzten Stunden – Spears wußte nicht, wie viele es waren, denn sie hatten ihm auch seine Uhr weggenommen – hatte er den Kapitän der NAUTILUS beinahe vergessen; bei all dem Sonderbaren und Erstaunlichen, das ihm begegnet war. Er wußte nicht, wo er war, aber er glaubte zu spüren, daß sich dieses »wo« tief unter der Wasseroberfläche verbarg. Er fühlte das Meer, die zahllosen Tonnen Salzwasser, die den schwarzen Felsen über seinem Kopf bedeckten und geduldig an den Wänden nagten. Spears hatte den größten Teil seines Lebens auf oder wenigstens an der See verbracht. Irgendwie war er zu einem Teil von ihr geworden. Ja, er fühlte seine Nähe.
Neugierig sah er sieh um. Der Raum, in den sie ihn gebracht hatten, war wenig größer als die Zelle, in der er die ersten vierundzwanzig Stunden seiner Gefangenschaft verbracht hatte, aber behaglicher eingerichtet. Wie alles hier waren die Wände aus schwarzem Lavagestein, vor dem das kostbare Mobiliar sonderbar deplaciert wirkte. Es gab einen Tisch, auf dem ein Glas und eine bereits entkorkte Glycolflasche standen, daneben eine Silberschale mit Weintrauben, dahinter, einladend mit seidenen Kissen drapiert, eine zierliche Chaiselongue. Von der Decke hing ein gewaltiger, elektrisch betriebener Lüster, und neben der Tür, genau gegenüber der Couch, hing ein gewaltiger, goldgefaßter Spiegel.
»Was soll ich hier?« fragte Spears, nachdem er sich rasch, aber sehr gründlich, umgesehen hatte.
»Sie werden hier warten«, antwortete der Mann, der ihn abgeholt und hierher gebracht hatte. Er war ein Riese, mehr als sieben Fuß groß und mit einem Gesicht, das von zahllosen Schlägereien gezeichnet war, auf dem aber sonderbarerweise trotzdem ein beinahe sanfter Ausdruck lag. Er war nicht bewaffnet, aber seine Fäuste waren wenig kleiner als Kokosnüsse, und Spears hatte den Gedanken, ihn angreifen und überwältigen zu wollen, nach einer halben Sekunde wieder fallen gelassen.
»Auf wen?« fragte er.
Der Riese lächelte. »Kapitän Nemo wird mit Ihnen sprechen«, sagte er. »Setzen Sie sich. Wenn Sie irgend etwas brauchen, rufen Sie. Ich warte draußen vor der Tür.« Damit wandte er sich um, öffnete die zollstarke Eisentür und trat gebückt auf den Korridor hinaus.
Spears starrte ihm finster nach. Während der ersten Stunden seiner Gefangenschaft hatte er getobt und immer wieder danach verlangt, Nemo zu sehen. Jetzt hatte sich seine Wut gelegt, aber er fühlte etwas anderes, eine sonderbare Art finsterer Entschlossenheit, die ihn selbst erschreckt hätte, hätte er darüber nachgedacht. Nemo... Der Mann, der für den Tod seines Bruders und zahlloser Unschuldiger verantwortlich war!
»Warum nehmen Sie nicht Platz, Kapitän Spears?«
Die Stimme kam aus dem Nichts. Spears fuhr erschrocken zusammen, hob instinktiv die Fäuste und sah sich wild um. Aber er war allein. Und es gab in der Kammer nichts, was groß genug gewesen wäre, einen Menschen zu verstecken.
»Bitte, mon Capitan«, sagte die Stimme, die er nun als die Nemos identifizierte. »Seien Sie so gütig, auf der Chaiselongue Platz zu nehmen. Es redet sich besser.«
»Wo sind Sie?« keuchte Spears. »Was zum Teufel soll dieser Humbug?«
Nemo lachte leise. Es war ein perlender, ganz leicht verzerrt klingender Laut, der aus keiner bestimmten Richtung zu kommen schien, sondern das kleine Zimmer zur Gänze ausfüllte. Spears schauderte. Wenn Nemo sich vorgenommen hatte, ihn zu verunsichern, dann hatte er es geschafft.
Verwirrt drehte er sich noch einmal im Kreis, zuckte schließlich trotzig die Achseln und ließ sich so wuchtig auf die kleine Couch fallen, daß das Holzgestell des Möbels hörbar ächzte.
»Oh, bitte, mein Freund – seien Sie etwas behutsamer«, sagte Nemos Stimme. »Diese kleine Kostbarkeit diente bereits dem großen Napoleon Bonaparte als Ruhemöbel.«
Spears fuhr verärgert hoch, wandte den Blick –
und erstarrte.
Der riesige Spiegel neben der Tür hatte sich verändert. Auf dem geschliffenen Kristallglas war nicht mehr das Spiegelbild des
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