Der Hexer - NR15 - Wo die Nacht regiert
grellweißer Helligkeit und näherte sich dem Schiff. Ich glaubte das Geräusch zu hören, mit dem es die Panzerplatten der NAUTILUS berührte.
»Verdammt«, murmelte Nemo. »Es... es erneuert sich.«
»Und wenn wir es wiederholen?« schlug ich vor. »Vielleicht gibt es auf, wenn wir ihm jedes Mal eins verpassen, wenn...«
Ich sprach nicht weiter, als ich Nemos Blick begegnete. Wäre es so einfach, dann wäre Nemo wohl schon von selbst auf diese Idee gekommen.
»Unsere Batterien sind halb leer«, sagte er schließlich. »Und so, wie dieses Vieh aussieht, verträgt es wohl auch die zehnfache Ladung.« Er seufzte, schüttelte den Kopf und ballte in hilfloser Wut die Fäuste. »Wir hätten warten sollen«, murmelte er, »bis die NAUTILUS wieder voll manövrierfähig ist. Vielleicht hätte die Zeit gereicht, ihm zu entkommen.«
»Kaum«, sagte Howard. »Außerdem bleibt uns nicht soviel Zeit.« Er hob die Hand und klopfte Nemo wenig sanft mit der Stahlklaue des Taucheranzuges auf die Schulter. Der Kapitän der NAUTILUS verzog schmerzhaft das Gesicht, gab aber keinen Laut von sich.
»Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, sagte Howard.
Nemo starrte ihn an, und ich sah, wie sich seine Augen vor Schrecken weiteten; nur für eine Sekunde, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Aber nicht schnell genug, daß ich es nicht bemerkte.
»Ich weiß«, murmelte er. »Aber wenn es nicht funktioniert...«
»Ist auch nichts verloren«, unterbrach ihn Howard.
»Wovon redet ihr beide eigentlich?« mischte ich mich ein. »Ich meine – es geht mich ja vielleicht nichts an, aber es würde mich doch interessieren. Nur so...«
Nemo lächelte pflichtschuldig. »Wir... werden die NAUTILUS räumen«, sagte er stockend.
Das war gelogen. Das hieß – es war die Wahrheit, das spürte ich, denn es ist ein Teil meines magischen Erbes, stets zu wissen, ob mir mein Gegenüber die Wahrheit sagt oder nicht, aber gleichzeitig hatte ich auch das absolut sichere Gefühl, daß Nemo mir etwas verschwieg. Etwas Wichtiges. Ich wandte mich an Howard.
»Warum klärst du deinen Freund nicht darüber auf, daß man mich nicht belügen kann?« sagte ich.
Nemo fuhr wie unter einem Hieb zusammen, während Howard mich mit einem beinahe traurigen Blick bedachte. »Er sagt die Wahrheit, Robert«, sagte er. »Keinem von uns gefällt der Gedanke, aber wir werden das Schiff evakuieren und versuchen, uns in den Anzügen nach oben durchzuschlagen.«
Ich schnitt ihm mit einer ärgerlichen Geste das Wort ab. »Davon rede ich nicht«, sagte ich scharf. »Ihr verschweigt mir etwas, Howard.«
»Wie kommst du darauf?« fragte Howard steif. »Kannst du neuerdings auch Gedanken lesen?«
Die Schärfe seiner Worte setzte mich in Erstaunen. Und dann begriff ich. Die Lösung war so einfach, daß ich mich für eine Sekunde fragte, warum ich nicht gleich darauf gekommen war. Howard hatte es mir ja praktisch gesagt; wenn auch, ohne es selbst zu wissen.
Ohne ein weiteres Wort drehte ich mich herum und stürmte aus dem Salon. Wäre eine Tür dagewesen, hätte ich sie hinter mir zugeworfen.
* * *
Das Feuer war lange nicht mehr so gewaltig wie zu Anfang. Die Flammen schlugen noch immer fünfzehn, zwanzig Fuß hoch in die Luft und tauchten den Himmel über der Stadt in blutiges Rot, aber die Männer von Firth’en Lachlayn hatten aufgehört, Reisig und trockenes Holz nachzuwerfen, und der Scheiterhaufen war dabei, sich selbst zu verzehren. Wenn die Sonne aufging, würde nur noch ein kleiner Haufen rauchender Asche an das gewaltige Feuer erinnern, das hier gebrannt hatte.
Aber es würde niemand mehr da sein, der ihn sehen konnte.
Der Platz hatte sich geleert. Von den gut zweihundert Personen, die noch vor Stundenfrist in weitem Umkreis um das Feuer gestanden hatten, war nur noch ein Bruchteil da, und auch diese begannen langsam, einer nach dem anderen, zu gehen.
Frane preßte sich schutzsuchend in den Schatten eines Hauses, fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und spähte aus eng zusammengekniffenen Augen zu dem zweistöckigen Gebäude auf der anderen Seite des Platzes hinüber. Er hätte seine rechte Hand für einen Schluck Schnaps gegeben, aber Craven hatte gesagt, daß er auf die Borden aufpassen sollte, und das war wichtiger. Frane verstand nicht ganz, wieso die Worte dieses sonderbaren Mannes mit der weißen Strähne im Haar eine solche Wichtigkeit für ihn hatten – immerhin war Craven ihr Feind, und noch vor wenigen Stunden hätte er ihm
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