Der Hexer - NR17 - Gefangen im Dämonen-Meer
gewesen wäre als normal. Shannon lauschte gebannt, denn er wußte, daß sich etwas im Schritt des Mannes verändert hätte, hätte er von seinem Hiersein gewußt, ganz gleich, wie sehr er sich beherrschte und in welchem Maße er sich Mühe gab, sich nichts anmerken zu lassen.
Als der Posten vorbei und seine Schritte in der Nacht verklungen waren, war Shannon sicher, daß ihn bisher niemand entdeckt hatte. Lautlos richtete er sich auf, suchte mit Fingern und Zehen festen Halt in den Fugen der Wand und kletterte geschickt in die Höhe.
Dicht unterhalb der Zinnen verhielt er, reglos wie eine übergroße, vierbeinige Spinne, und wartete erneut.
Minuten vergingen. Dann kamen die Schritte des Postens abermals näher. Shannon wartete, bis der Mann unmittelbar über ihm angekommen war, dann raffte er alle Kraft zusammen, federte in die Höhe und setzte mit einem Salto über die Zinnen hinweg.
Der Wächter kam nicht einmal mehr dazu, einen Schrei auszustoßen. Shannons Fuß traf sein Kinn mit der ganzen Wucht seines Sprunges und brach sein Genick.
Shannon fing den Toten auf. Vorsichtig ließ er ihn zu Boden gleiten, sah sich rasch nach beiden Seiten um und streifte dem Toten dann die zerlumpte Jacke ab, in die er gekleidet war. Hastig zog er das Kleidungsstück an, hob den Toten in die Höhe und warf ihn über die Mauer. Der Aufprall des reglosen Körpers dröhnte wie ein Kanonenschlag in Shannons Ohren, aber er war sicher, daß der Wind und die Nacht das Geräusch verschlucken würden.
Noch einmal sah er sich um, um sicher zu gehen, daß niemand auf ihn aufmerksam geworden war, dann lief er – schnell, um die Zeit, die er mit dem kurzen Kampf verloren hatte, auszugleichen – in die gleiche Richtung weiter, in die der Wächter gegangen war, und reduzierte sein Tempo dann auf das des normalen Rundganges des Postens.
Nach einer Weile erreichte er das Ende der Mauer. Wie er gehofft hatte, tauchte auf der anderen Seite des Wehrganges ein zweiter Posten auf. Der Mann hob die Hand zum Gruß, blieb einen Moment lang stehen und wandte sich um.
Drei Sekunden später war er tot.
Shannon schlich weiter. Noch zweimal traf er in den nächsten zehn Minuten auf Wächter, die auf ihrem einsamen Streifzug durch die Nacht waren.
Dann war er sicher, daß es in diesem Teil der Festung niemanden mehr gab, der seine Anwesenheit verraten konnte.
* * *
Äußerlich unterschied sich das strohgedeckte Gebäude nicht im geringsten von den anderen Baracken, die sich um den Hauptplatz des Lagers gruppierten.
In seinem Inneren war es ein Tor zur Hölle.
Hinter dem Eingang lag ein winziger, fensterloser Raum, in dessen gegenüberliegender Wand eine wuchtige Eisentür war. Aber selbst durch das zollstarke Material hindurch war die erstickende Hitze zu fühlen, die auf der anderen Seite herrschte.
Der Templer war zurückgekommen, nachdem die beiden Männer mich gepackt und hierher geschleift hatten. Er trug jetzt nicht mehr sein Ordensgewand, sondern ein schmuckloses, knöchellanges Hemd von blutroter Farbe, auf dessen Brust- und Rückenteil verwirrende kabbalistische Symbole aufgestickt waren, und das Schwert an seiner Seite hatte einem sonderbar geformten Schlüssel Platz gemacht, mit dem er jetzt die Eisentür öffnete. Seine Lippen formten dabei unhörbare Worte, und auf seinen Zügen lag ein Ausdruck angespannter Konzentration.
Und Angst.
Er gab sich alle Mühe, das Gefühl zu verbergen, aber ich hatte die Zeichen der Furcht zu oft in den Augen von Menschen gelesen, um es nicht zu erkennen. Was immer sich auf der anderen Seite der Eisentür befand, erfüllte den Tempelritter mit panischer Furcht.
Das Schloß sprang mit einem metallischen Klacken auf. Ein Schwall erstickender Hitze und blutigrotes, flackerndes Licht fielen in den winzigen Raum.
Der Templer trat zurück, gab meinen beiden Bewachern einen Wink und zog den Schlüssel mit deutlichen Zeichen der Erleichterung aus dem Schloß. Die beiden Männer zerrten mich hoch, stießen mich durch die Tür und blieben wieder stehen.
Ich blinzelte geblendet. Der Raum hinter der Metalltür war vollkommen leer, aber im Boden gähnte ein gut fünf Yards durchmessendes, kreisrundes Loch, das mit lodernder roter Helligkeit wie mit blutigem Wasser gefüllt war. Die Hitze war nahezu unerträglich. In der Luft lag der Geruch nach brennendem Stein.
Hinter uns betrat der Tempelherr den Raum. Auf einen stummen Wink seiner Hand hin stieß mich einer der Männer auf die Knie herab und hielt mich
Weitere Kostenlose Bücher